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Ursula Prem |
Mit Rechtskraft zum 13. Februar 2007 wurde am Landgericht Nürnberg das Urteil gegen Gustl Mollath gefällt, das seinen Daueraufenthalt in der
forensischen Psychiatrie besiegeln sollte, der bereits seit dem 27. Februar 2006 bis zum heutigen Tag andauert. Verurteilt wurde Mollath wie üblich »Im Namen des Volkes!«. Das bedeutet: Wenn Sie, wie auch ich, deutscher Staatsbürger sind, wurde das Urteil auch in Ihrem Namen gesprochen!
Dass und warum es sich offenkundig um ein Unrechtsurteil
handelt, hat die ehemalige Staatsanwältin Gabriele Wolff in ihrer bisher
neunteiligen Analyse in vielen Einzelheiten auseinandergesetzt und
den Fall so auch für den juristischen Laien zugänglich gemacht. Ihr gebührt
Dank und Respekt für diese umfangreiche Leistung. Ich empfehle die Lektüre
ihres Blogs jedem einzelnen deutschen Staatsbürger, der wissen möchte, welchen
menschlichen Abgründen in seinem Namen Vorschub geleistet werden.
Wer sich in den Fall des Gustl Mollath einlesen möchte, für den folgt hier die Linksammlung zu den Beiträgen von Gabriele Wolff, die sie unter dem Titel »Der Fall Mollath: Rosenkrieg und Versagen von Justiz & Psychiatrie« veröffentlicht hat:
Aus der Lektüre ergeben sich die gnadenlosen Mechanismen
eines angeblichen Rechtsstaats, der sich anmaßt, in unser aller Namen Unrecht
zu sprechen. Er nutzt hierzu das ganze Arsenal, das unser bundesdeutsches
Regelungsgestrüpp ihm zu bieten hat. Beim Lesen kann ich mich des Eindrucks
nicht erwehren, dass Gesetze heute nur deshalb immer zahlreicher werden, um in
ihrem Windschatten möglichst großes Unrecht verschleiern zu können.
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Vor unseren Augen wird Gustl Mollath seit sieben Jahren nach
allen Regeln der Kunst fertiggemacht. Wann er endlich freikommen wird ist
bislang unbekannt, da selbst derart offensichtliche Fehlurteile im Sinne der
Rechtssicherheit nicht einfach aufgehoben werden können. Vielmehr wird Unrecht
möglichst lange aufrechterhalten, um einen stabilen Rechtsstaat zu
demonstrieren. Kann es eine treffendere Definition für Wahnsinn geben?
Während Gustl Mollath also wegen seines angeblichen »Wahns«
weiterhin festgehalten wird, laufen die echten Wahnsinnigen frei herum,
beschließen Gesetze, fällen Urteile und schreiben Gutachten. Alles zu unserem
Wohl, in unserem Namen und auf unsere Kosten. Der gesunde Menschenverstand ist
seit langem im Winterschlaf und hat den Vorboten einer besonders infamen Art
der Diktatur Platz gemacht, die hinter der Maske des allenthalben zur Schau
getragenen Gutmenschentums langsam ihre Fratze enthüllen.
Die Diktatur des
Euphemismus
Gustl Mollath wurde im Jahre 2007 selbstverständlich nicht »entmündigt«,
sondern unter »rechtliche Betreuung gestellt«. Klingt das nicht viel humaner?
Was könnte an einer »Betreuung« falsch sein, drückt doch schon das darin
steckende Wort »treu« aus, dass alles nur zum Wohl des angeblichen »Patienten«
geschieht! Dass sich im Zuge dieser »Betreuung« Gustl Mollaths gesamte
bisherige Habe in Luft auflöste und er heute nicht einmal mehr ein eigenes Paar
Socken besitzt, kann man sich bei dieser euphemistischen Sprachregelung einfach
nicht vorstellen.
Und selbstverständlich möchte man Gustl Mollath nicht »mit
den Mitteln der Medizin dazu zwingen, endlich das Maul über irgendwelche
Schwarzgeldverschiebungen zu halten«: Nein, man möchte »seinen Wahn
therapeutisch mit ihm aufarbeiten«, wonach es Mollath sicher besser gehen würde,
da Krankheitseinsicht ja der erste Schritt zur Besserung sei, dieser perfiden
Logik nach.
Auch der kürzlich erfolgte Versuch, Gustl Mollath aus dem
BKH Bayreuth in die Psychiatrie nach Ansbach zu verlegen, hatte ganz ohne
Zweifel nicht den Sinn, »den Störenfried endlich loszuwerden«, sondern war
alleine deshalb angedacht, »weil ein Vertrauensverhältnis zwischen der Klinik
und Gustl Mollath nicht gegeben« sei. Haben wir nicht alle aus der
Apothekerzeitschrift gelernt, dass das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt
schon die halbe Heilung ist?
Das Lächeln des Bösen
Es zeigt sich: Die schärfste Waffe der Diktatur, deren Anfänge
wir aktuell erleben, liegt im euphemistischen Sprachgebrauch. Die jetzt in Gang
gesetzte Entwicklung noch zu stoppen wird eine der schwersten Aufgaben werden,
denen sich der menschliche Verstand jemals zu stellen hatte. Nichts ist mehr
wie es scheint. Das Böse steht uns nicht mehr waffenstarrend im Braunhemd
gegenüber: Es kommt auf leisen Sohlen und erklärt uns lächelnd, dass alles nur
zu unserem Besten sei.
Wir müssen dringend lernen, hinter die tausendfachen Masken
des Sprachgebrauchs zu blicken und uns nicht mehr von den Wiegenliedern des
Bösen in den Schlaf lullen zu lassen: Vom »fehlenden Vertrauensverhältnis« zu
sprechen, während zeitgleich eine
extrem fundierte Strafanzeige wegen des
Verdachts der schweren Freiheitsberaubung läuft, ist ein Hohn. Einen »Wahn therapeutisch aufarbeiten zu wollen«, dessen
Wahrheitsgehalt vom Revisionsbericht einer Großbank längst anerkannt wurde,
spottet jeder Beschreibung. Und wenn am Ende einer »rechtlichen Betreuung« die
Mittellosigkeit des vormals Begüterten steht, dann sollten wir über die
Pervertierung des Wortes »BeTREUung« nachdenken.
Ein paar
Übersetzungshilfen
Die Diktatur des Euphemismus beschränkt sich natürlich nicht
auf den Fall Gustl Mollaths. Es gibt viele weitere Beispiele:
»Wir spannen einen starken Rettungsschirm auf, um die
Eurowährung zu stabilisieren« bedeutet übersetzt: »Wir bestehlen unsere Kinder
und Enkel, um die Kunstwährung erst mal zu erhalten und das Problem auf eine
Zeit nach unserer Regierung zu vertagen.«
»Die Werteorientierung unserer Außenpolitik wird deutlich im
Kampf gegen Hunger und Armut« bedeutet übersetzt: »Wir müssen dafür sorgen,
dass die armen Schlucker am Leben bleiben, um von den Waffendeals abzulenken,
die wir mit ihren politischen Führern eingefädelt haben.«
»Wo Menschenrechte missachtet werden, muss Deutschland überall,
wo so etwas auf der Welt passiert, deutlich machen, dass die Würde des Menschen
unteilbar ist!« – Übersetzung: »Wenn wir bei der chinesischen Führung das
Menschenrechtsgedöns anmahnen, dann kriegen wir leichter die Unterschrift unter
das nächste Wirtschaftsabkommen zu unseren Bedingungen.«
Sprachlicher
Zuckerguss zur schleichenden Entrechtung
Wir müssen den sprachlichen Zuckerguss abkratzen und seinen nackten
Sinngehalt verstehen. Nur dann haben wir eine Chance gegen die ebenso
weichgespülte wie umfassende Entrechtung, mit der wir uns an allen Ecken und Enden konfrontiert sehen.
Schließen möchte ich diesen Beitrag mit einem Schreiben
Gustl Mollaths, einem erschütternden Dokument darüber, was passiert, wenn die
Diktatur des Euphemismus alle Masken fallen lässt. Es stammt aus dem Jahre 2008
und ist folgenlos geblieben, denn Mollath sitzt bekanntlich immer noch. Denken
Sie beim Lesen bitte daran, dass alles, was ihm passiert ist, im »Namen des
Volkes!« geschah, also auch in Ihrem!
Update: Kurz nach Fertigstellung dieses Beitrags veröffentlichte Mollaths Rechtsanwalt Gerhard Strate seinen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Auf 140 Seiten erfahren wir weitere Einzelheiten einer offensichtlichen Rechtsbeugung, die einfach nur fassungslos machen:
http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Wiederaufnahmeantrag-2013-02-19.pdf
>> Lesen Sie hier meine weiteren Artikel zum Fall Gustl Mollath
Update 24.02.2013:
Klartext von Dr. Friedrich Weinberger zum Justizdrama Gustl Mollath