Aufgrund meiner damaligen Beschäftigung mit dem Fall von
Gustl Mollath erreichen mich noch immer hin und wieder Anfragen von Menschen,
die durch die Zwangspsychiatrie bedroht sind. Hierbei wurde ich auch schon aufgrund meines Artikels mit der
Frage konfrontiert, ob es Sinn machen würde, sich mit der Bitte um Hilfe an
Gert Postel zu wenden, der die grundsätzlichen Mechanismen der Psychiatrie mit
seinem damaligen Geniestreich in das grellste Licht gesetzt hat.
Nach jetzigem Kenntnisstand muss ich jedoch dringend
davon abraten! Grund: Seit einiger Zeit betreibt Gert Postel einen
Twitteraccount, dem man seine tatsächliche Haltung zu diesem Thema entnehmen
kann. In der Folge einige Screenshots aus seinem Account @PostelGert, die das Problem
verdeutlichen:
Regelmäßig schwadroniert Postel auf Twitter über die Zwangspsychiatrisierung ihm missliebiger Personen. Er wedelt mit Haloperidol, lobt die erfrischende Wirkung von Elektrokrampftherapien und möchte politisch Andersdenkende auch schon gerne mal im Maßregelvollzug verklappen. Ob es sich dabei um den neuen US-Präsidenten Trump handelt, sein Erzfeind Jan Böhmermann damit adressiert wird oder irgendjemandes Ansichten ihm missfallen: Postel ist es völlig einerlei.
Als Streiter gegen die Zwangspsychiatrie hat er sich damit in meinen Augen vollständig ins Abseits gestellt. Er kann deshalb auch kein Ansprechpartner für verzweifelte Menschen sein, die sich mit den Zumutungen der Branche konfrontiert sehen. Da der nun folgende Hauptartikel, so wie er seit 31. Mai 2013 in diesem Blog zu finden ist, einen ganz anderen Eindruck vermittelt, sehe ich diese aktuelle Ergänzung als notwendig an, um Schaden von den Menschen zu wenden, die aufgrund meines Artikels eventuell Hoffnungen auf die Hilfe Gert Postels gesetzt haben sollten. Ich für meinen Teil habe dazu nur noch einen Kommentar:
Hauptartikel vom 31.5.2013
Dass ein Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Leistungen würdigt, für die ihr Erbringer sich eine rechtskräftige Verurteilung eingehandelt hatte, ist nicht eben die Regel. Geschieht es dennoch, wie am 31. Mai 2012 durch Armin Nack vor der juristischen Fakultät in Passau, so stellt dies einen wohl einmaligen Vorgang dar, der unsere fest gefügten Vorstellungen wohltuend durcheinanderwirbelt und dazu beiträgt, eingefahrenen Gedankenmustern eine neue Richtung zu geben.
Rückblende: Der aus Bremen stammende ehemalige Hauptschüler
und gelernte Postbote Gert Postel hatte es mithilfe seines ausgeprägten Gespürs
für soziale Systeme und einiger gefälschter Dokumente geschafft, 1995 seinen
Dienst als Leitender Oberarzt für Psychiatrie in Zschadraß bei Leipzig
anzutreten und dort zwei Jahre lang, bis zu seiner zufälligen Enttarnung, eine
glänzende Karriere hinzulegen. 1999 verurteilte ihn das Landgericht Leipzig
wegen mehrfachen Betrugs und Urkundenfälschung zu vier Jahren Haft, aus der er
im Januar 2001 vorzeitig entlassen wurde.
Ein Postbote als Weiterbildungsbeauftragter der Sächsischen Landesärztekammer
Besonders peinlich für das psychiatrische und juristische
Establishment: Niemand hatte vor dem Tag der Enttarnung die Fähigkeiten und
Leistungen Gert Postels infrage gestellt. Im Gegenteil: Sein ausgeprägtes
Talent zur geschmeidigen Aneinanderreihung leerer Fachbegriffe brachte ihm
sogar eine Ernennung durch den Sächsischen Landtag zum Chefarzt der forensischen
Klinik in Arnsdorf ein. Eine Stelle, die er niemals antrat, im Gegensatz zur
Position des Weiterbildungsbeauftragten der Sächsischen Landesärztekammer: In
dieser Funktion machte er sich maßgeblich um den Verbraucherschutzgedanken
verdient, indem er die Öffentlichkeit vor allerlei halbseidenen Kandidaten
bewahrte: Postel ließ sie einfach durch die Prüfung fallen.
Gert Postel, so viel ist klar, ist bis heute der Stachel im
Fleisch der Psychiatrie, die ihr weitgehend ungebrochenes Wirken in der
Nach-Dr.-Postel-Ära lediglich einem alten physikalischen Prinzip verdankt: der
Trägheit der Masse. Da konsequentes Denken bis an die Wurzel einer Erscheinung
nicht eben Volkssport ist, gelang der Psychiatrie das nahezu Unglaubliche: Sie
überlebte Dr. Postel bis heute. Das wäre auch in Ordnung, gäbe es nicht die
Zwangspsychiatrie, eine würdige Nachfolgerin der Inquisition, deren teils dubiose
Methoden auf nebulöser Grundlage sich uns nun allen exemplarisch am Fall von
Gustl Mollath enthüllen. Klar ist: Als vorgeblicher Herzchirurg, Englischlehrer
oder Konditormeister wäre Gert Postel nicht so weit gekommen. Zumindest hätte
er Wege finden müssen, sich die erforderlichen ganz handfesten Kompetenzen
zuvor anzueignen. Die Tatsache, dass er so lange als Psychiater in leitender
Position überleben konnte, wirft Fragen auf, denen wir alle uns endlich stellen
müssen.
Deviante Dissozialität oder dissoziale Devianz?
Der Vorsitzende Richter am BGH Armin Nack jedenfalls scheint
nicht unerhebliche Zweifel am herrschenden System der psychiatrischen
Begutachtung von Straftätern zu haben. Launig zitiert er in seinem Vortrag aus
»echten« Gutachten, die sich auch schon mal mit der Frage befassen, ob bei
einem Probanden eine deviante Dissozialität oder eine dissoziale Devianz zu
konstatieren sei. Dass sich derartige Einlassungen wohl in keiner Weise von
Postels gerne zitierter Bipolarer Depression dritten Grades unterscheiden,
dürfte jedem unbefangenen Zuhörer ohne Weiteres klar werden. Nacks kaum
verhohlene Bewunderung für den verurteilten Hochstapler Gert Postel (»Ich sage Ihnen, Postel war der beste Gutachter. Besser, als die beiden gelernten Psychiater!«) sollten wir
nicht leichtfertig abtun, legt sie doch den Finger auf eine offene Wunde
unseres Rechtsstaats.
Eine endgültige Lösung für das Psychiatriesystem ist aktuell
nicht in Sicht. Im Gegenteil: Mit dem neuen Gesetz zur Ermöglichung der Zwangsbehandlung,
das eigentlich eine Ausnahmeregelung für Notsituationen darstellen soll,
eröffnen sich neue, völlig legale Möglichkeiten des Psychiatriemissbrauchs. Dass
grundsätzlich ein Richter der Zwangsmedikamentierung zustimmen muss, ist ein
schwacher Trost, wissen wir doch von psychiatrischen Gutachten, dass Richter
sich in etwa 97 % der Fälle an den dort ausgesprochenen Empfehlungen
orientieren. Das bedeutet: Die eigentlich klar definierte Gewaltenteilung ist
auf diesem Gebiet längst ausgehebelt worden. Die Entscheidungsmacht liegt faktisch
in den Händen von Experten, die nicht mal einen Postboten von einem Fachkollegen
unterscheiden können und als Träger hoheitlicher Gewalt im Staatsgefüge gar
nicht vorgesehen sind. – Beruhigend, nicht wahr?
Psychiater mit hohem ärztlichem Ethos? – Ja, es gibt sie!
Dass es auch Psychiater mit hohem ärztlichem Ethos und
menschlicher Integrität gibt, beweist die Arbeit von Dr. Friedrich Weinberger,
dem Mitbegründer und Vorsitzenden der Walter-von-Baeyer-Gesellschaft für Ethik
in der Psychiatrie (GEP). Unermüdlich setzen er und seine Mitstreiter sich
nicht nur für Gustl Mollath ein, sondern weisen in regelmäßigen Publikationen
auf die generellen Missstände im eigenen Fachbereich hin, so auch im neuesten Rechenschaftsbericht ihrer Organisation, den ich als weiterführende Lektüre empfehlen möchte.
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