Freitagskolumne von Ursula Prem
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Eule
Bild: La-Liana / Pixelio |
Der heutige dritte und letzte Teil meiner Betrachtungen über die
forensisch-psychiatrischen Gutachten zur Person Gustl Mollaths setzt sich mit
den Ausführungen der letzten beiden Gutachter auseinander: Friedemann Pfäfflin
und Dr. Friedrich Weinberger. Waren Arbeitsweise und Absichten von
KlausLeipziger und
Hans-Ludwig Kröber noch relativ einfach zu durchschauen, so stellt das
Gutachten Pfäfflins den analytischen Geist vor eine Herausforderung, zeichnet es sich doch durch
eine frappierende Inkonsistenz aus, deren Sinn sich dem Leser nur zwischen den
Zeilen erschließt.
Friedemann Pfäfflin, so viel wird bereits bei
oberflächlicher Lektüre seines Gutachtens klar, möchte als netter Mensch
wahrgenommen werden. Offenes Mobbing gegen Kollegen, wie Hans-Ludwig Kröber es
in seinem Gutachten gegen den Mainkofener Psychiater Dr. Simmerl betrieben
hatte, ist Pfäfflins Sache nicht. Und dass er auch seinem Probanden
selbstverständlich nicht wehtun möchte, lässt er zwischen den Zeilen mehrmals
durchblicken. Nach einer kurzen Zusammenfassung der verfügbaren Vorgutachten
und Akten steigt er auf
Seite 7 in die Wiedergabe der Schilderungen Mollaths ein. An den Anfang stellt er
Mollaths Erklärung, weshalb dieser
»an der vorausgegangenen Begutachtung durch Prof. Kröber
nicht aktiv mitgewirkt hatte. [...] Er war auf Prof. Kröber als Gutachter
gekommen, weil er in der Zeitschrift Strafverteidiger einen Aufsatz von ihm aus
dem Jahr 1999 gelesen hatte, in dem beschrieben wurde, wie man ein ordentliches
Gutachten macht, was schon damit anfange, dass man sich rechtzeitig beim
Probanden anmeldet. Herr M. wurde aber ohne vorherige Ankündigung an einem Tag,
als Prof. Kröber noch jemand anderen in Bayreuth untersuchte, um halb sechs
angerufen und hatte gleich ein „Bauchgefühl, wie geht das schon los.“ Er
schrieb dann einen Brief, den er dem Mitpatienten zur Übergabe an Prof. Kröber
zuleitete und worin er begründete, dass er sich nicht untersuchen lassen wolle.«
[Gutachten Pfäfflin, S.8]
Ist das nicht nett von Friedemann Pfäfflin, wie er für seinen
Probanden in die Bresche springt und dabei sogar auf dezente Weise einen
Verstoß Kröbers gegen dessen eigene gutachterliche Grundsätze thematisiert? Die
Gesprächseröffnung mag bei Mollath spontan Vertrauen erweckt haben, weshalb er
Pfäfflin seine Geschichte im Folgenden ausführlich erzählt. Es ist zu vermuten,
dass Pfäfflin die Schilderungen getreulich wiedergibt: So erwähnt er sogar eine
vom 28. Oktober 2010 datierte Neuausstellung eines Zeugnisses über die am 6.
Mai 1975 erfolgte Gesellenprüfung Mollaths als Maschinenbauer, die dieser ihm
vorlegt, womit die Behauptung Kröbers, Mollath sei »
ungelernt«,
widerlegt ist. Ganze 26 Seiten seines Gutachtens widmet Pfäfflin der
Darstellung von Mollaths Geschichte, die dieser klar und strukturiert vorträgt.
Pfäfflin, so viel ist klar, hört Gustl Mollath zu und
scheint ihm zu glauben. Dies lässt sich aus der Tatsache schließen, dass er von
seinem Probanden sogar Absolution erbittet. Wirklich anrührend, wie Pfäfflin
sich als scheinbares Opfer des Systems zu Gustl Mollath ins Boot
setzt.:
»Ich konfrontiere ihn mit dem Problem eines Gutachters, der
zunächst einmal davon ausgehen muss, dass das rechtskräftige Urteil in sich, jedenfalls in
wesentlichen Zügen, stimmig ist, und erläutere ihm, dass sich ein Gutachter,
der sich darüber einfach hinwegsetzt, ins Aus bugsiert.« [Gutachten Pfäfflin,
S.24]
Pfäfflin hat offenbar sehr genau verstanden, welches Unrecht
Mollath zugefügt worden war. Und sein sodann erteilter Rat weist ihn als echten
Gutmenschen aus:
»Ich konfrontiere ihn mit der Überlegung, dass es
Situationen im Leben gibt, in denen man unterliegt, in denen man womöglich
Unrecht erleidet und Leid ertragen muss, ohne je Recht zu bekommen oder für das
erlittene Unrecht entschädigt zu werden.« [Gutachten Pfäfflin, S.31]
Rücksprache gegen das
Unrechtsbewusstsein
Ob Pfäfflin sich wohl bewusst darüber war, dass es in
ebendiesem Moment an ihm gewesen wäre, das Unrecht zu beenden, das Mollath so
plastisch vor ihm ausbreitete? – Nun, die Rücksprache mit der Stationsärztin
und dem Oberarzt mögen Pfäfflin dabei geholfen haben, ein eventuelles
Unrechtsbewusstsein schnell beiseite zu schieben. Die dort erhaltenen Auskünfte
enthalten zwar nur Läppisches, doch Pfäfflin nutzt sie zur Garnierung seines
Gutachtens. So etwa eine Mitteilung der Stationsärztin Rümenapp:
»[...] Auch vertue er [Mollath] sich bei seinen Anträgen
häufig mit der Datierung bestimmter Ereignisse. Auf Frage: Angst vor ihm habe
sie nie empfunden.« [Gutachten Pfäfflin, S.34]
Tja, mit der Datierung bestimmter Ereignisse ist das so eine
Sache. Dies stellt man fest, wenn man Pfäfflins Gutachten genau liest und die
angegebenen Daten mit Informationen aus anderen Quellen vergleicht. So führt
Pfäfflin aus (Hervorhebungen von mir):
»Das Gutachten stützt sich auf die ganztägige Untersuchung
von Herrn M. am 30.11.2010 im
Besucherzimmer der Station FP6 im BKH Bayreuth (Aufenthalt dort von 10 bis 19 Uhr), die Durchsicht der
Krankenakte, die Durchsicht der hergereichten drei Bände Vollstreckungshefte
der StA Nürnberg-Fürth und schließlich Rücksprachen mit der behandelnden
Stationsärztin und dem zuständigen Oberarzt.« [Gutachten Pfäfflin, S.2]
Sollte Friedemann Pfäfflin also tatsächlich am 30. November
2010 zur angegebenen Uhrzeit seinen jovialen Plausch mit Mollath abgehalten
haben? – Schwer zu glauben, denn laut einem nach wie vor online verfügbaren
Flyer des BKHs Bayreuth war er an ebendiesem Tag zu Gast auf der 11. Bayreuther
Forensiktagung, wo er um 10:40 Uhr eine sicher schwungvolle Rede zum Thema
»Aspekte der Begutachtung und Behandlung von Sexualstraftätern« gehalten hat.
Wissenschaftlicher Leiter, Organisator und damit sein Gastgeber war
praktischerweise Chefarzt Klaus Leipziger, dem Mollath das psychiatrische Elend
maßgeblich zu verdanken hatte, und den es keinesfalls zu blamieren galt, wenn für
Pfäfflin auch künftig Vortragshonorare sprudeln sollen.
Wie ist diese zeitliche Unmöglichkeit zu erklären? Handelt
es sich um eine Mogelei bei den Uhrzeitangaben im Gutachten? Oder verfügt
Pfäfflin gar über einen qualitativ hochwertigen Zeitumkehrer, dessen
Funktionalität sogar Harry Potter und Hermine Granger vor Neid erblassen lassen
würde? – Des Rätsels Lösung findet sich in einer Fußnote von
Seite 17 eines Schriftsatzes von Rechtsanwalt Gerhard Strate, demzufolge die Exploration
tatsächlich einen Tag früher, also am 29. November 2010 stattgefunden haben
soll. Neigt Pfäfflin etwa dazu, sich in seinen Schriftstücken bei der
»
Datierung bestimmter Ereignisse« zu vertun? Könnte dies gar ein Grund sein,
die Frage zu stellen, ob man vor ihm Angst haben muss?
Verständnistriefende
Ausführungen mit vernichtendem Fazit
Ob Gustl Mollath vor Friedemann Pfäfflin Angst hatte, wissen
wir nicht. Grund dazu jedoch hätte er in jedem Fall gehabt: Nach vollen 26
Seiten neutraler bis verständnistriefender Ausführungen, aus denen sich
keinerlei Anhaltspunkte für eine Allgemeingefährlichkeit Gustl Mollaths
ableiten lassen, zeigt Pfäfflin ab
Seite 35 sein wahres Gesicht:
»Wenn man einen roten Faden aus seinen Darstellungen
herausdestillieren will, dann lässt sich dieser dahingehend charakterisieren,
dass er bei den mit ihn befassten Gerichten und anderen Amtspersonen ebenso wie
bei den mit ihm befassten Psychiatern und teils auch bei seinen Verteidigern
eine gezielt gegen ihn gerichtete Voreingenommenheit unterstellte, der er
ohnmächtig ausgeliefert war und ist.« Und: „Vorherrschend war der Affekt der
(An-)klage gegen andere, die ihn ungerecht behandelten, wenn nicht gar foltern
oder gar vernichten wollten.“«
Auf
Seite 38 schließlich erfolgt wieder eine prophylaktische
Exkulpierung seiner eigenen Person, indem er eine erstaunliche Aussage Mollaths
wiedergibt:
»Auf meine Frage, ob es ihm nützen würde, wenn ich sagen
würde, er sei gar nicht paranoid, sodass er aus Mangel an inhaltlicher
Grundlage aus dem Maßregelvollzug entlassen werden müsste, verneinte er dies
bemerkenswerter Weise und betonte, darum gehe es ihm gar nicht, sondern
ausschließlich um ein Wiederaufnahmeverfahren, in dem seine Unschuld
festzustellen sei. Bezüglich der Rechtsstaatlichkeit unserer Gesellschaft hatte
er große Zweifel, die er wiederholt explizit formulierte.«
Sein vernichtendes Urteil bringt er auf
Seite 42 auf den Punkt:
»Die Einweisungsdiagnose der wahnhaften Störung (ICD-10, F22.0)
gilt aus meiner Sicht auch heute noch. – [...] An die externe Begutachtung hat
er die vage Hoffnung geknüpft, der Gutachter solle zur Aufklärung des von ihm
behaupteten Bankenskandals beitragen, so wie er auch erwartet, dass der für ihn
zuständige Oberarzt die Machenschaften der Hypobank aufklären solle, so dass
mit ihm über anderes kaum ins Gespräch zu kommen ist. Allein schon diese
Erwartung an den Oberarzt und an den Gutachter spricht für eine verzerrte
Realitätswahrnehmung, denn diese Personen sind keine Kriminalisten und keine
Juristen, und sie haben bei ihren Beurteilungen zunächst einmal von den
Feststellungen des rechtskräftigen Urteils auszugehen. Insofern sind sie nicht
die geeigneten Adressaten für sein Anliegen, denn diese Feststellungen könnten
ggfs. allein in einem rechtsförmigen Wiederaufnahmeverfahren korrigiert werden.
Die Überprüfung, ob sich Herr M. aufgrund eines Komplottes im MRV befindet und
ob ihm die dem Urteil zugrunde liegenden Taten zu Unrecht unterstellt wurden,
ist nicht Sache des Gutachters. Ungeachtet dieser Feststellung müsste im
Gutachten selbstverständlich darauf aufmerksam gemacht werden, wenn im Rahmen
der Untersuchung Informationen auftauchten, die zum Zeitpunkt des
Einweisungsurteils noch nicht bekannt waren und die Zweifel an der Täterschaft
des Begutachteten begründen. Entsprechend neue Unterlagen bzw. Informationen
hat Herr M. mir nicht vorgelegt.«
Wenn man von den haarsträubenden, im Gutachten zwischen
Seite 7 und Seite 34 festgehaltenen, von Mollath »konzentriert, formal und
inhaltlich im Denken im Wesentlichen geordnet (S.35)« geschilderten Vorgängen
einmal absieht, so mag Pfäfflin damit recht haben.
»Man mag darüber spekulieren, ob es auch zu einem anderen,
d.h. milderen, Krankheitsverlauf hätte kommen können, hätten Herrn M.s Anzeigen
tatsächlich zur Eröffnung staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren geführt, doch
tragen solche Spekulationen zur Beantwortung der Gutachtenfragen nichts bei.«
[Gutachten Pfäfflin, S.43]
»Gesellige Abendveranstaltung«
Geradezu philosophisch verweist Pfäfflin sodann auf Kleists
Novelle
Michael Kohlhaas und die wahnhafte Entwicklung aufgrund
»beobachteten oder selbst erfahrenen Unrechts, das keine angemessene Würdigung
bzw. Genugtuung erfährt«, um sodann das Unrecht selbst fortzuschreiben, die
Frage nach dem weiteren Vorliegen der Voraussetzungen für § 63 StGB mit einem
Ja zu beantworten und die Einweisungsdiagnose seines Gastgebers Leipziger zu
bestätigen. Ob hierzu auch die im Flyer der Forensiktagung benannte »Gesellige Abendveranstaltung für Tagungsteilnehmer und
Mitarbeiter der Klinik
« beigetragen haben mag, welche direkt im
Anschluss an die Exploration stattfand, kann in diesem Rahmen nur vermutet,
jedoch keinesfalls sicher ausgeschlossen werden.
Was aber hielt Pfäfflin auf
Seite 46 davon
ab, eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung neuer Straftaten
durch Mollath zu diagnostizieren? Ein Rest von menschlichem Anstand? Die Angst
vor dem morgendlichen Blick in den Spiegel?
»Die Antwort auf diese Frage
[Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten] lässt sich nicht sicher quantifizieren.
Vor dem Hintergrund dessen, was in Abschn. 7.1 gesagt wurde, liegt die Annahme
nahe, dass Herr M. womöglich wieder den im Einweisungsurteil genannten Taten
vergleichbare Taten begehen wird.«
Pfäfflin schränkt diese vage Formulierung
zusätzlich ein, indem er berichtet, dass Mollath während der Untersuchung an
keiner Stelle konkrete Rachegedanken oder -absichten gegenüber seiner Frau oder
anderer bestimmter Personen geäußert, sondern betont habe, es gehe ihm um
Wahrheit und Gerechtigkeit.
»Wie bereits mehrfach betont, bestreitet er
nach wie vor, jene im Einweisungsurteil genannten Taten begangen zu haben, so
dass die üblicherweise in diesem Zusammenhang vom Sachverständigen zu prüfende
Frage der Auseinandersetzung mit den Taten zu einem ungünstigen Ergebnis kommen
muss.«
Abschließend empfiehlt Pfäfflin, »mit Herrn
M. besser ins Gespräch zu kommen«, nennt als zusätzlichen Risikofaktor die
»schroffe, formale Ablehnung von Anliegen des Patienten« und zieht das Fazit,
»dass die sachverständig zu beurteilenden Voraussetzungen für die Unterbringung
nach § 63 StGB weiterhin vorliegen.«
Gewissen
versus Reputation
Mit der Entlarvung der Pfäfflinschen Kapriolen
befasste sich als Erster der Neurologe und Psychiater Dr. Friedrich Weinberger,
der in seinem Gutachten vom 30. April 2011 zuerst Pfäfflins Überzeugung, er
habe »zunächst einmal von den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils
auszugehen« einer kritischen Prüfung unterzog:
»Daß Urteilsgründe keine Bindungswirkung haben, musste aber auch der Gutachter,
der auf seinem Briefkopf den (nicht offiziellen) Zusatztitel „Forensische
Psychiatrie (DGPPN)“ herausstellt, selbst wissen. Die im Urteil „als wahnhaft
eingestuften Überzeugungen“ Mollaths auf ihre Wahrhaftigkeit zu überprüfen, war
ihm als Gutachter sehr wohl aufgegeben.« [Gutachten Dr. Weinberger, S.14]
Dr. Weinberger legt damit den Finger in eine
Wunde, die Pfäfflin selbst schon schmerzhaft verspürt haben mag, als er darauf
verwies, er würde sich als Gutachter »ins Aus bugsieren«, würde er die
Feststellungen des rechtskräftigen Urteils missachten. Denn faktisch haben
widerspenstige Gutachter von der Justiz tatsächlich Unbill zu erwarten, wie der
Fall von Dr. Hanna Ziegert zeigt, die sich nach kritischen Anmerkungen in der
Sendung »Beckmann« nun mit einem drastischen Auftragsrückgang konfrontiert
sieht. Können Gutachter wirtschaftlich nur überleben, wenn sie beim großen
Affentanz mitspielen? Reichte Pfäfflins Mut deshalb nur für ein resignierendes
Schulterzucken bei gleichzeitiger Fortschreibung der Diagnose, weil Aufträge,
Vortragshonorare und gesellige Abendveranstaltungen im Kreise der Kollegen
andernfalls der Vergangenheit angehören würden? Sind die Hürden für eine eigene
gutachterliche Meinung etwa derart hoch, dass nur Hasardeure sie zu
überspringen wagen?
Für zumindest eine Gefälligkeit des
Tagungsredners Pfäfflin gegenüber dem Gastgeber spricht eine weitere Erkenntnis
Dr. Weinbergers:
»Pfäfflin bemerkt nicht, daß während der
fünfjährigen Zwangsunterbringung eindeutig wahnhafte Äußerungen oder
Verhaltensauffälligkeiten bei Mollath mit Sicherheit aufgefallen und im
Krankenblatt festgehalten worden wären, wenn es sie gegeben hätte!« [Gutachten Dr. Weinberger, S.17]
Was wurde stattdessen aufgeschrieben und
gegen Mollath verwendet? Ein Hang zur Ironie, der Wunsch nach Kernseife und
Biokost, ein angeblich zynischer Blick. Zu keinem Zeitpunkt hatten selbst die
böswilligsten Psychiater mehr gegen ihn in der Hand, als ein paar persönliche
Eigenheiten, die für das siebeneinhalbjährige Aufblasen des unsichtbaren
Ballons genügen mussten. Beklemmend, nicht wahr?
Das
Ende des bösen Spiels
Die substanzlosen Ausführungen Friedemann
Pfäfflins genügten am 9. Juni 2011 nicht einmal der diesbezüglich recht
anspruchslosen Strafvollstreckungskammer Bayreuth, sodass Pfäfflin in der
mündlichen Verhandlung nachlegen musste und die »Wahrscheinlichkeit der
Begehung neuer Straftaten« plötzlich als »sehr hoch« bezeichnete. Statt sich jedoch
schon angesichts dieser Widersprüche auch mit dem Gutachten Dr. Weinbergers
auseinanderzusetzen, gab sich die Strafvollstreckungskammer mit Pfäfflins
mündlichem Nachschlag zufrieden und verlängerte Mollaths Verräumung erneut.
Erst am 26. August 2013 setzte das
Bundesverfassungsgericht auch diesem bösen Spiel ein Ende, nachdem das
Oberlandesgericht Nürnberg bereits 20 Tage zuvor die Wiederaufnahme des
Verfahrens und die sofortige Freilassung Mollaths angeordnet hatte. Zu der
gutachterlichen Leistung Friedemann Pfäfflins führen die Verfassungsrichter
aus:
»Das
Landgericht setzt sich nicht damit auseinander, dass die Darlegungen des
Sachverständigen zur Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten im
schriftlichen Gutachten vom 12. Februar 2011 und in der mündlichen
Anhörung vom 9. Mai 2011 voneinander abweichen. In seinem schriftlichen
Gutachten legt der Sachverständige dar, dass sich die Wahrscheinlichkeit neuer
Straftaten nicht sicher quantifizieren lasse. Da der Beschwerdeführer keinen
Zugang zu seiner eigenen Aggressivität habe, sei er gefährdet, erneut
vergleichbare Handlungen vorzunehmen. Es liege die Annahme nahe, dass der
Beschwerdeführer „womöglich wieder den im Einweisungsurteil genannten Taten
vergleichbare Taten begehen“ werde. Demgegenüber erklärte der Sachverständige
in der mündlichen Anhörung, er habe im Gutachten „vielleicht eine etwas zu
weiche Formulierung“ gewählt. Berücksichtige man, dass die Anlasstaten
losgelöst von der sonstigen Persönlichkeit des Beschwerdeführers begangen
worden seien und dass andererseits eine therapeutische Bearbeitung nicht
stattgefunden habe, halte er die Wahrscheinlichkeit vergleichbarer Taten für
sehr hoch. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Einschätzungen durfte
das Landgericht sich nicht auf eine bloße Bezugnahme auf die Ausführungen des
Sachverständigen in der mündlichen Anhörung vom 9. Mai 2011 beschränken.
Es hätte vielmehr unter Berücksichtigung weiterer Hinweise des Sachverständigen
und sonstiger Umstände des vorliegenden Falles (siehe sogleich unten b) und c)
diese Einschätzungen gegeneinander abwägen und eine eigenständige
Prognoseentscheidung treffen müssen.«
[Quelle:
Bundesverfassungsgericht]
Was bleibt, ist der Eindruck der Zerrissenheit des Friedemann Pfäfflin, der sich im Spagat zwischen Gutmenschentum und persönlichem Kalkül diesmal übernommen hat. Wie viel Gewissen kann ein Psychiater sich leisten, der seinen beruflichen Status zu erhalten sucht? Pfäfflin hat den Weg der weichen Formulierungen gewählt, um seinem Dilemma zu entkommen. Niemandem wehtuend: nicht dem Probanden, nicht den Kollegen, und dem Auftraggeber schon gar nicht. Das Unvermeidliche am Schluss kurz und begründungslos abhandelnd, in der sicheren Ahnung, dass das Gericht sowieso nur die letzten Seiten eines Gutachtens liest. Sind der unempathisch-bürokratische Stil eines Klaus Leipziger und das zynisch angehauchte Idiom eines Hans-Ludwig Kröber leicht zu entlarven, so sind es eben die leisen, jovialen Töne eines Friedemann Pfäfflin, in denen die größte Gefahr verborgen liegt.
Hier weiterlesen:
Leipzigers Allerlei
Keiner ist gröber als Kröber
Gabriele Wolff:
Die Irrwege der Psychiatrie (1)
Die Irrwege der Psychiatrie (2)
Die Irrwege der Psychiatrie (3)
Thilo Baum:
Die Logik der Forensischen Psychiatrie
Oliver Garcia:
Fall Mollath - der Schleier ist gelüftet
Thomas Stadler:
Mollath: Ein Opfer der Psychiatrie
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