»Ein Panoptikum des Schreckens – in der Kirche – Teil 3«
Teil 254 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Das Münster zu Hameln. Foto W-J.Langbein |
Das Münster zu Hameln kann als Modell eines mythischen Universums gesehen werden. Die Krypta stellt die Unterwelt dar, der Innenraum des Gotteshauses steht für die Welt der Lebenden und die hohen steinernen Säulen tragen das Himmelsgewölbe. Fast identisch war die Vorstellungswelt der Mayas. Die Wurzeln des Ceiba-Baums sind ein Abbild der Unterwelt, die hohen schlanken Stämme versinnbildlichen die Welt von uns Lebenden und die Krone wird mit dem Himmel gleichgesetzt. Diese drei »Etagen« finden wir auch im Münster zu Hameln.
Die Krypta von Hameln. Foto W-J.Langbein |
Die Krypta – Unterwelt – wird von so manchem Besucher des Gotteshauses aufgesucht. Die zweite »Etage« wird von zahllosen Besuchern aus aller Herren Länder langsam oder hastig durchschritten. Kaum einer freilich bringt die Krypta mit der Unterwelt oder gar mit der Hölle in Verbindung.
Dabei gibt es auch zu Beginn des dritten Jahrtausends nach Christus im »christlichen Abendland« nach wie vor die Vorstellung von der »Hölle«. Man denkt an einen nach Schwefel stinkenden Ort, wo gewaltige Feuer lodern und arme Seelen für ihre Sünden büßen müssen. »Das Handbuch der Bibelkunde« vermeldet (1):
»Die Hölle unseres Begriffs hat im biblischen Sprachgebrauch keine genaue Entsprechung:« Und doch hat es einen realen Ort im Land der Bibel gegeben, der unserer Vorstellung vordergründig zumindest nahe kommt. Um 800 v.Chr. gab es diese »Hölle« im Südwesten Jerusalems.
Im Gehenna-Tal wurden
dem assyrischen Gott Moloch (links) Opfer dargebracht. Dann und wann sollen
sogar Menschen verbrannt worden sein, um ihn gnädig zu stimmen. Den
Jahweanhängern war jene Stätte ein Ort des Grauens. Vermutlich
störte sie die Tatsache, dass dort gelegentlich Menschen ihr Leben
ließen, nicht sonderlich. Dass aber dort einem fremden König
gehuldigt wurde, missfiel ihnen sehr. Deshalb ließ König Josias um
625 v.Chr. das Tal entweihen. Weil es den Anhängern eines fremden
Glaubens heilig war, ließ er es in eine stinkende Abfalldeponie
verwandeln. Berge von Knochen wurden aufgehäuft und verbrannt. Müll
wurde angekarrt und ebenfalls angezündet. Schwefel wurde beigefügt,
um die Feuersglut Tag und Nacht nie verlöschen zu lassen. Es
entstand ein Ort, der unserer Vorstellung von Hölle recht nahe
kommt.
Aus der fremden Kultstätte war ein stinkendes Abfallfeuer geworden. Der Prophet Jesaja nun dachte an die Zukunft. Dort würden jene Juden, die nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes lebten, ihre gerechte Strafe erhalten: im »Glutofen« (2) des Gehenna-Tals. Hier würden dann die vom rechten Glauben abgefallenen Juden auf ewige Zeiten brennen (3):
»Und sie werden hinausgehen und schauen die Leichname derer, die von mir abtrünnig waren. Denn ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer wird nicht verlöschen, und sie werden allem Fleisch ein Gräuel sein.«
Die Hölle ist nach unserer Vorstellung der Wohnort der Teufel, die die Sünder peinigen und quälen. Unsere Hölle ist die Heimat bösartiger Dämonen. Die biblische Gehenna-Hölle ist ein Ort, an dem Gott strafen wird: Und zwar ausschließlich vom Glauben abgefallene »Gottlose«. Teufel sind da nicht vorgesehen.
Aus der fremden Kultstätte war ein stinkendes Abfallfeuer geworden. Der Prophet Jesaja nun dachte an die Zukunft. Dort würden jene Juden, die nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes lebten, ihre gerechte Strafe erhalten: im »Glutofen« (2) des Gehenna-Tals. Hier würden dann die vom rechten Glauben abgefallenen Juden auf ewige Zeiten brennen (3):
»Und sie werden hinausgehen und schauen die Leichname derer, die von mir abtrünnig waren. Denn ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer wird nicht verlöschen, und sie werden allem Fleisch ein Gräuel sein.«
Die Hölle ist nach unserer Vorstellung der Wohnort der Teufel, die die Sünder peinigen und quälen. Unsere Hölle ist die Heimat bösartiger Dämonen. Die biblische Gehenna-Hölle ist ein Ort, an dem Gott strafen wird: Und zwar ausschließlich vom Glauben abgefallene »Gottlose«. Teufel sind da nicht vorgesehen.
Der Moloch von Hameln. Foto W-J.Langbein |
Durch den griechischen Einfluss auf das »Neue Testament« kam es zu einer Helenisierung des Begriffs »Hölle«. Offensichtlich entwickelte sich das Bild vom künftigen Ort des Gerichts zu einem »Warteraum« für Tote, in welchem Verstorbene auf die himmlische Justiz warten. Bei Lukas lesen wir (4): »Als er nun (der Reiche) bei den Toten war, hob er seine Augen in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß.« So kommt zum heißen Ort der Qualen im »Neuen Testament« noch eine Art »Himmel« hinzu.
Jesaja weiß nur von einer stinkenden Hölle (5): »Denn
vorlängst ist eine Gräuelstätte zugerichtet; auch für den König
ist sie bereitet. Tief, weit hat er sie gemacht, ihr Holzstoß hat
Feuer und Holz in Menge; wie ein Schwefelstrom setzt der Hauch des
Herrn ihn in Brand.« Der »Schwefelstrom« blieb im Volksglauben bis
in unsere Zeiten erhalten: Gilt doch nach wie vor bei vielen
Gläubigen die Hölle als nach Schwefel stinkender Ort des Grauens.
Und der Teufel selbst, Herr der Unterwelt mit vielen Namen, soll ja
einen intensiven Schwefelgestank verbreiten!
Im »Alten
Testament« kommt ein Himmel, so wie wir ihn uns heute vorstellen,
nicht vor. Das »Alte Testament« kennt lediglich die Himmel als das
Firmament, das sich über den Menschen wölbt.
Der
modernisierte Terminus »Gehenna« imitiert lautsprachlich das
aramäische »Gehanna« und entspricht dem hebräischen »Ge Hinnom«.
»Ge Hinnom« lässt sich das mit »Sohn von Hinnom«
übersetzen. Das »Gehenna-Tal« war demnach das »Tal des Sohns von
Hinnom« oder – zutreffender – »Schlucht des Sohns von
Hinnom«. Vom stinkenden Höllenschlund zum Teufelsberg. Östlich von
Jerusalem wurden auf einem Berg dem Moloch kleine Kinder geopfert
(6):
»So sollst du dem Herrn, deinem Gott, nicht dienen;
denn sie haben ihren Göttern alles getan, was dem Herrn ein Gräuel
ist und was er hasst; denn sie haben ihren Göttern sogar ihre Söhne
und Töchter mit Feuer verbrannt.« Es gibt keinen Zweifel, dass da
auf grausame Weise dem Gott Moloch gehuldigt wurde: indem Kinder bei
lebendigem Leib verbrannt wurden. Hinter dem Namen Moloch verbirgt
sich das hebräische Wort für König. Sollte also ein König der
Hölle gemeint sein? Oder war er gar ursprünglich ein Bewohner des
Himmels, der zum menschenfressenden Monster mutierte? In der Kunst
wurde Moloch immer wieder gern als kinderverschlingendes Ungetüm
gezeigt. Nur wenige Besucher des Münsters zu Hameln wissen, dass
hoch oben auf einer der Säulen Moloch höchstselbst dargestellt sein
könnte.
Moloch frisst ein Kind. Fotos W-J.Langbein |
Die Säulenkapitelle erlauben den Blick in eine zum Teil albtraumhafte Welt des Grauens. Spärlich beleuchtet scheinen sich die in Stein gemeißelten Abbildungen zu verändern, zu bewegen. Aus kunstvoll gearbeiteter Ornamentik formieren sich plötzlich Monsterwesen. Da sind zwei schlangenartige, hoch aufgerichtete Kreaturen. Beide blicken zueinander, das heißt…. auf ein Wesen in ihrer Mitte. Ich halte die rätselhafte Darstellung für ein Bildnis des Menschenfressers Moloch.
Spinnweben erinnern an das
Ambiente eines Horrorfilms mit Vincent Price. Pflanzenartig wuchern
die zwei hässlichen Geschöpfe, deren Augen und Mäuler immer klarer
zu erkennen sind, je genauer man hinschaut. Nach und nach gewöhnt
sich das menschliche Auge an die ungünstigen Lichtverhältnisse.
Nach und nach tritt »mein« Moloch hervor. Durch das lichtstarke
400-Millimeter-Objektiv meiner Kamera erkenne ich Details. Moloch
starrt in Richtung Betrachter. Mit festem Griff hat er ein Kind
gepackt, sein Kopf hängt nach unten, die Beine sind anscheinend
schon im Maul des gefräßigen Kannibalen verschwunden. Es wird wohl
nicht mehr lange dauern, bis das arme Geschöpf vollständig im
Rachen des Moloch verschwunden sein wird!
Erkennen Sie die mysteriöse Muttergottes? Foto W-J.Langbein |
Wenn Ihnen der Moloch zu düster ist, suchen Sie am besten die Darstellung der Gottesmutter. Sie finden sie am südlichen Mittelschiffpfeiler, Nordostecke, entstanden vor etwa 800 Jahren! Es handelt sich um eine rätselhafte Maria mit Lichtscheibe. Hoch oben an einem der Säulenkapitelle – in Gesellschaft von Moloch, Sauriern und anderen mysteriösen Wesen – blickt die Muttergottes auf den Kreuzaltar…
Die biblischen Bilder – auch jene von Hölle und Himmel – sind das Ergebnis einer Entwicklung über viele Jahrhunderte hinweg, die vielleicht niemals abgeschlossen ist. Die christlichen Glaubensvorstellungen – etwa von Hölle und Himmel – sind nicht als fertige Gedanken übernommen worden. Sie haben sich nach Beendigung der Arbeit an den biblischen Texten nach und nach entwickelt. Das zeigt, dass Glaube sich seit mehr als zwei Jahrtausenden verändert. Diese Erkenntnis gibt zu Hoffnung Anlass: Auch heute und morgen wird sich Glauben ändern. Nur dann kann er langfristig dem suchenden Menschen Hilfe bieten.
Menschenfressende
Monster sollten in keiner Religion mehr zu finden sein. Es gibt sie
auch nicht mehr, diese schrecklichen Wesen. Sie sind überflüssig
geworden, weil fundamentalistische Fanatiker mit zunehmender
Begeisterung die Rolle des mordenden Molochs übernehmen. Sie tun das
mit religiöser Inbrunst, wollen den Weg ins Paradies antreten. Sie erreichen aber, dass schon im Hier und Jetzt die
Welt zur Hölle wird. Als Teufel bewähren sich dann fanatische Menschen.
Ein
Glaube, der einmal stehen bleibt, ist ein Auslaufmodell und
verschwindet irgendwann in der Versenkung der Bedeutungslosigkeit.
Aber sind die Vertreter der heutigen großen Religionen überhaupt
dazu bereit, Glaubenslehren der aktuellen Zeit anzupassen? In einer
Zeit der moralischen wie religiösen Ungewissheit droht eine große
Gefahr, nämlich dass Fundamentalisten immer mehr Zulauf gewinnen.
Warum? Weil immer mehr Menschen Zweifel nicht ertragen können und
begeistert jenen folgen, die möglichst lautstark ganz präzise
postulieren, was angeblich Gott von uns Menschen
fordert.
Fußnoten
Der Ceibabaum der Mayas. Foto W-J. Langbein |
1) Mertens, Heinrich A.: »Handbuch der Bibelkunde«,
Düsseldorf 1966, Seite 336
2) Der Prophet Jesaja Kapitel 31, Vers 9
3) Der Prophet Jesaja Kapitel 66, Vers 24
4) Das Evangelium nach Lukas Kapitel 16, Vers 23
5) Jesaja Kapitel 30, Vers 33
6) 5. Buch Mose Kapitel 12, Vers 31
»Ketzerisches von einem Theologen«,
Teil 255 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 07.12.2014
Fußnoten
1) Mertens, Heinrich A.: »Handbuch der Bibelkunde«, Düsseldorf 1966, Seite 336
2) Der Prophet Jesaja Kapitel 31, Vers 9
3) Der Prophet Jesaja Kapitel 66, Vers 24
4) Das Evangelium nach Lukas Kapitel 16, Vers 23
5) Jesaja Kapitel 30, Vers 33
6) 5. Buch Mose Kapitel 12, Vers 31
Teil 255 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 07.12.2014
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