Sonntag, 31. Januar 2016

315 »Die Hölle unter unseren Füßen«

Teil 315 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 31.01.2016


Foto 1: Geysire weisen auf die unteriridische Hölle hin.

»Wir stehen hier über dem Höllenschlund!«, schreit der kleine schmächtige Mann. »Unter uns brodelt das Höllenfeuer! Es wird ausbrechen und diese sündige Welt austilgen im Höllenfeuer! Bereut eure Sünden! Wendet euch ab vom sündigen Treiben und bereut! Bereut, bevor es zu spät ist!« Gestenreich unterstreicht der Prediger einer der vielen amerikanischen Sekten seine düsteren Worte. Die Menschen reagieren teils belustigt, teils verärgert. Sie wollen sich die gute Laune an einem sommerlichen Tag im August im weltberühmten Yellowstone Nationalpark nicht trüben lassen. Sie wollen speiende Geysire sehen, blubbernde Heißwasserquellen und fantastisch anmutende Landschaften.

Foto 2: Überall tummeln sich Bären ...

»Überall tummeln sich hier Bären!«, so wütet der bärtige Prediger weiter. »Sie sind Boten des Teufels, Boten der Hölle! Bereut Eure Sünden, bevor es zu spät ist!« In der Tat: Der »Yellowstone Nationalpark« ist weltberühmt für Yogi Bears Brüder und Schwestern. Die putzig anmutenden Riesengesellen können aber auch sehr gefährlich werden. »Boten Satans« sind sie aber doch wohl nicht.

Verlassen wir erst einmal den zornigen Prediger. Reisen wir gemeinsam einige Jahrhunderte in die Vergangenheit. Wir schreiben das Jahr 1565. Spanische Truppen besetzen mit brachialer Gewalt die Philippinen. Die Ureinwohner fliehen entsetzt vor der brachialen Übermacht und verstecken sich an den dicht bewaldeten Berg. Der rettende Berg schlummert. Der Pinatubo-Vulkan, im Westen der Insel Luzon gelegen, konnte urplötzlich das Feuer der Hölle ausspeien. Um 1441 und anno 1991 brach der Pinatubo aus. Am 15. Juni 1991, nach 550 Jahren des Schweigens, tat sich ein Tor zur Hölle auf, Lavaströme flossen die Flanken des Bergkegels hinab. Weitere Lavamassen wurden kilometerhoch in den Himmel geschleudert und fielen als tödliches Feuer vom Himmel.

Zum Glück hatten Experten bei seismologischen Messungen deutliche Vorzeichen richtig gedeutet und vor einem nahenden Ausbruch des Pinatubo gewarnt. Die unmittelbar gefährdeten Regionen wurden evakuiert, Zehntausende wurden kurzfristig umgesiedelt. Trotzdem starben rund tausend Menschen im Höllenfeuer des Vulkanausbruchs.

Foto 3: Die Magmablase unter dem Vulkankrater
So skurril das Gezeter des Predigers auch anmutete, so umschrieb er doch eine erschreckende Wahrheit. Seit Jahrzehnten gibt es Warnsignale, die auf einen Ausbruch des Supervulkans unter dem Yellowstone Nationalpark hinweisen. Eine gigantische Magmablase kann jederzeit an die Erdoberfläche und in den Himmel geschleudert werden. Mit katastrophalen Folgen!

Die Frage ist nicht, ob der Supervulkan ausbrechen wird, sondern wann das geschehen wird. Im Vergleich zu einer solchen Katastrophe wird der Ausbruch des Pinatubo wie ein lindes Lüftchen erscheinen. Eine unvorstellbare Explosion wird die Welt erschüttern. Der Höllenknall wird weltweit zu hören sein. Sieben Stunden wird der Schall von Amerika nach Deutschland unterwegs sein. Eine glühendheiße Lawine, 700 Grad Celsius heiß, wird sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreiten. Das Höllenfeuer wird mit mehreren hundert Stundenkilometern rasen und alles in Asche verwandeln.

Foto 4: Bären, Bären, Bären ...

Unvorstellbare Mengen an Material werden fünfzig Kilometer empor geschleudert werden und die Sonne verdunkeln. Totale Finsternis wird über weite Flächen hereinbrechen und alles Leben in tödliche Eiseskälte tauchen. Pflanzen werden absterben, weil sie das Sonnenlicht benötigen. Tiere, die sich von Pflanzen ernähren, werden verhungern, Menschen werden sterben. Und die, die überleben, werden Hungerkatastrophen unvorstellbaren Ausmaßes erleben. Diese Horrorvorstellung ist höchst real. Am 1. Juli 2014 vermeldete die »Süddeutsche Zeitung«, dass die bevorstehende »Yellowstone-Apokalypse« noch sehr viel schlimmer ausfallen wird als bisher schon angenommen: »Unter dem Yellowstone Nationalpark in den USA schwelt die riesige Magmakammer eines Supervulkans. Und die ist zweieinhalb Mal so groß wie bisher angenommen!«, berichten Seismologen der University of Utah. Weiter vermeldet Andreas Frey: »Im Yellowstone-Nationalpark in den USA sieht es aus, als hätte jemand mit einer gigantischen Axt hineingeschlagen. Es blubbert, es zischt, es stinkt – und nicht weit unter den Füßen schwelt die riesige Magmakammer eines Supervulkans.

Jetzt haben Seismologen der University of Utah den Untergrund unter weiten Teilen des BundesstaatsWyoming neu vermessen – und ziemlich gestaunt. Denn die Magmakammer ist zweieinhalb Mal so groß wie gedacht.«

Foto 5: Kochende Quelle, von der Höllenglut erhitzt...

Bob Smith berichtete auf der Herbstkonferenz der amerikanischen Geophysikalischen Vereinigung, dass 35.000 Kubikkilometer geschmolzenes Gestein in der Unterwelt des Yellowstone National Parks nur darauf warten explosionsartig an die Erdoberfläche zu drängen. Die gigantische Lavahöhle liegt nach neuesten Erkenntnissen 15 Kilometer unter der Erde. Sie ist neunzig Kilometer lang und dreißig Kilometer breit. Es droht kein lokales Unglück, sondern eine Katastrophe, unter der die ganze Welt leiden wird. Ich muss mich wiederholen: Wir wissen nicht, wann es zu diesem gewaltigen Kataklysmus kommen wird. Wir wissen, dass die Katastrophe irgendwann eintreten wird.

Die Dunkelheit als Folge des Vulkanausbruchs wurde recht realistisch schon in vorchristlichen Zeiten beschrieben: Das »Buch Henoch« entstand im zweiten vorchristlichen Jahrhundert, vielleicht auch wesentlich früher. Es wurde nicht in den Kanon der Bibel aufgenommen, gehört also zu den apokryphen Schriften des Judentums. Und doch wurden ganz offensichtlich Beschreibungen aus eben diesem Buch Henoch in Sachen Höllenfeuer von der katholischen Kirche herangezogen. Im »Buch Henoch« wird der Höllenpfuhl so beschrieben (103,7): »Und sei dir bewusst, dass sie (gemeint sind die Engel) eure Seelen in den Sheol (Hades oder Hölle) bringen werden und sie (die Seelen) werden Böses erleiden und eine schwere Prüfung durchzustehen haben, in Dunkelheit, Fesseln und brennenden Flammen.« In der Hölle wartet das Feuer auf die bösen Sünder (100,9): »Entsprechend der Taten der Bösen werden sie in lodernden Flammen brennen, schlimmer als Feuer!«

Sollten religiöse Visionäre als Höllenvisionen beschrieben haben, was sich höchst real ereignen wird, wenn ein »Supervulkan« wie jener unter dem Yellowstone Nationalpark in einer gigantischen Explosion die Hölle auf  Erden ausbrechen lassen wird?

Foto 6: Islamische Darstellung der »Hölle«

Auch der Koran kennt das Höllenfeuer.  Von den Griechen zur Buchreligion des Islam. Auch der Koran (Sure 4, 56) beschreibt es recht drastisch so: »Diejenigen, die nicht an unsere Zeichen glauben, die werden wir im Feuer brennen lassen: So oft ihre Haut verbrannt ist, geben wir ihnen eine andere Haut, damit sie die Strafe kosten. Wahrlich, Allah ist allmächtig, allweise.« In Sure 11 (106–107) steht zu lesen: »Die Unseligen werden dann im Höllenfeuer sein, wo sie laut aufheulen und hinausschreien, und wo sie weilen, solange Himmel und Erde währen, – soweit es dein Herr nicht anders will. Dein Herr tut, was er will.«

Im Koran (Sure 89,23) heißt es, dass die Hölle am Tag der Apokalypse »nahegebracht« wird. Das deutet darauf hin, dass das Höllenfeuer aus dem Leib der Erde zu den Menschen gelangt. Diesen Ausbruch der Hölle beschreibt die als heilig angesehene Hadith-Literatur, die zu den Werkender Überlieferung gehört. Die Sahih Muslim, die »Sechs Bücher«, gelten als Kanon der Hadith-Sammlungen. Während im Christentum apokryphe, nicht in den Kanon aufgenommene Bücher eher wenig beachtet werden, sind die apokryphen Texte des Koran höchst bedeutsam. »Sahih Muslim« (9. Jahrhundert) wird auch als »gesunde« oder »authentische Sammlung« bezeichnet. Dort heißt es über die Hölle: »Die Hölle wird an jenem Tag mit Hilfe von siebzig Tausend Seilen hervorgebracht werden, jedes Seil wird von siebzig Tausend Engeln gehalten.«

Foto 7: Gleich bricht »Old Faithful« aus!

Mit anderen Worten: Bis zum »jüngsten Tag« des Weltgerichts ist die Hölle noch in der Erde. Zum Tag des Weltuntergangs wird sie aus der Erde hervorgehoben. Für den Geologen wird hier, im religiösen Gewand, auf aus dem Erdinneren strömende Lavamassen hingewiesen: wie bei einem mörderischen Supervulkanausbruch etwa.

Wird der Supervulkan des »Yellowstone National Parks« vielleicht schon bald die nächste Apokalypse bewirken? Hank Heasler, Park Geologe, lässt keine Zweifel aufkommen: »Die Frage ist nicht, ob er ausbrechen wird, sondern wann.« Vor 2,1 Millionen Jahren spie der Supervulkan 2450 Kubikkilometer Magma empor. Vor 1,3 Millionen Jahren waren es »nur« 280 Kubikkilometer. Vor 640.000 Jahren kam es zur bislang letzten gewaltigen Entladung: 1.000 Kubikkilometer. Zum Vergleich: Der gewaltigste Vulkanausbruch der jüngsten Vergangenheit war der von 1815 in Indonesien. Der »Tambora« schleuderte 50 Kubikkilometer glühende Magma in die Luft. Bei der Apokalypse im Gebiet des »Yellowstone Nationalparks« vor 2,1 Millionen Jahren war es fast 50 Mal so viel!    

Foto 8: Unterirdisch brodelt es, oberirdisch sterben die Bäume ...

Die Stärke eines Vulkanausbruchs hängt von den Magmamengen ab, die zur Verfügung stehen. Um Vulkanausbrüche miteinander vergleichen zu können, wurde der »Explosivitäts-Index« (»VEI«) eingeführt. Die Skala reicht von 0 bis 8. Ein Punkt mehr auf der Skala bedeutet die Verzehnfachung des ausgespuckten Magmas. Ein Vulkan mit einem Index von 3 beispielsweise speit zehn Mal so viel Magma aus wie ein Kollege mit dem Index 2 und 100 Mal so viel wie einer mit Index 1. Eine Vulkaneruption der Indexstärke 8 ist schon unvorstellbar stark. Der Vulkan des »Yellowstone Nationalparks« wird den Rahmen der Skala sprengen und ihre höchste Markierung bei weitem überschreiten. Er wird mit der in der Wissenschaft akzeptierten Messlatte gar nicht mehr in seiner gewaltigen Größe erfasst werden können.

»Spüren Sie denn nicht, wie das Höllenfeuer anklopft? Gleich wird es einen siedenden Vorboten schicken, der zur Reue mahnt! Old Faithful mahnt: Bereut! Bereut! Bereut! Oder Ihr Sünder landet alle in der Höllenglut!« Der Prediger schweigt plötzlich. Denn tatsächlich ist etwas zu vernehmen: ein Rumoren, ein Fauchen, das aus dem Erdinneren zu kommen scheint. »Bereut! Bereut! Bereut!« ruft fast triumphierend der Prediger. Auch so etwas wie Schadenfreude schwingt in seiner Stimme mit.

Übrigens: Schon Karl May hat über den »Yellowstone National Park« geschrieben!

Zu den Fotos:
Fotos 1, 2, 4, 5, 7, 8: Walter Langbein Sen. 1963
Foto 3 (Die Magmablase unter dem Krater): wiki commons/ Kbh3rd
Foto 6 (Islamische Darstellung der Hölle): wiki commons/ Snailwalker 

316 »Winnetou, tödliches Gas und Old Faithful«
Teil 316 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 07.02.2016



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Sonntag, 24. Januar 2016

314 »Landung auf Dekehtik«

Teil 314 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein




In Memoriam Jürgen Huthmann

6. Oktober 1937 - 11. Januar 2016
 

Foto 1: Das Idol
Beim Anflug auf den »International Airport« von Pohnpei, vormals Ponape, Mikronesien, verging mir jegliche Lust auf Fotografieren. Er besteht aus einem überschaubaren Gebäude und einer Landebahn. Gebäude und Landebahn nehmen einen großen Teil des Inselchens Dekehtik ein. Die Landebahn beginnt scheinbar im Meer und endet scheinbar im Meer.

Beim Anflug hatte ich das Gefühl, dass wir nur wenige Meter über den schaumenden Wellenkronen auf das kleine Inselchen zurasten. Waren es überhaupt Meter? Punktgenau setzte der Kapitän »unsere« Maschine auf, wir hopsten einige Male auf und hab. Unsere Maschine rollte aus. Sie kam wenige Meter vor dem Meer zum stehen. Weniger Glück hatte ein »727-Frachtflugzeug« (1). Die Maschine setzte wohl einige Meter zu spät auf, rollte über das Ende der Landepiste hinaus… Das heißt von »rollen« konnte nicht mehr die Rede sein, endete die Landebahn doch abrupt im Meer.

Foto 2: Das Idol
Inzwischen hat allerdings die Regierung Japans 30 Millionen Dollar in den Flughafen von Dekehtik investiert und aufwändig die Landebahn verlängert. Nervenaufreibend dürften freilich auch heute noch Landungen und Starts sein! Mich haben die mysteriösen Ruinen von Nan Madol die weite Reise nach Mikronesien antreten lassen. Getrübt wurde meine Vorfreude, als sich bei mir unterwegs auf einem der Langstreckenflüge starke Schmerzen im Bein zu schaffen machten. Ich diagnostizierte: Thrombose. 

Foto 3: Roboter...
Tatsächlich sollte sich meine Vermutung als richtig herausstellen. So eine Thrombose – verursacht durch ein Blutgerinnsel in einem Blutgefäß – kann lebensbedrohlich sein. Was war zu tun? Ein blutverdünnendes Mittel musste her, und das so schnell wie möglich. Eine Apotheke, von einem Arzt ganz zu schweigen, gab es im »International Airport« von Dekehtik freilich nicht. Eine sehr hilfsbereite, freundliche Stewardess verwies mich an einen kleinen Kiosk mit Kaffeausschank und Plätzchenverkauf. »Da gibt es auch Medikamente!« Meine Frage nach einem blutverdünnenden Medikament löste nur ein Achselzucken aus.  »Haben Sie Aspirin?«, erkundigte ich mich. Große Hoffnungen machte ich mir allerdings nicht. »How many do you need?« Wie viele ich benötige? »Ich kaufe alle!«, antwortete ich und erschrak selbst. Ich benötigte schon eine größere Menge von dem Medikament. Meine Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. »I have two….«, strahlte mich die hübsche Lady vom Kiosk an.

Meinte sie zwei Packungen? Und wie viele Tabletten mochten wohl in jeder Packung sein? Nun, es waren zwei Tabletten, nicht zwei Packungen. Der Kiosk verfügte über einen Vorrat von insgesamt zwei Aspirin-Tabletten! In den folgenden Wochen meiner Südseereise, die mich auch auf die »Osterinsel« führte, fragte ich überall nach Aspirin… und kaufte auf, was an Vorräten vorhanden war. Mehr als fünf (!) Tabletten gab es allerdings nirgendwo. Mag sein, dass man mir nicht überall wirklich alle vorrätigen Pillen verkaufte. Wie dem auch sei… Das Medikament wirkte, die Schmerzen ließen nach. Wochen später, zurück in Deutschland, suchte ich meinen Hausarzt auf. Der war entsetzt ob meiner Schilderungen. Ich kam umgehend ins Krankenhaus, wo man meine Diagnose bestätigte. Ich hatte in der Südsee tatsächlich eine Thrombose. Meine Aspirin-Kur hat mir womöglich das Leben gerettet!

Pohnpei, früher Ponape, gehört zu den Senjawin-Inseln, die dem Archipel der Karolinen im westlichen Pazifik zugerechnet werden. Politisch ist Pohnpei Teil der »Federated States of Micronesia« (»Föderierte Staaten von Mikronesien«). Was bedeutet der Name »Pohnpei« (»Ponape«)? Sprachforscher haben herausgefunden, dass man ihn mit »auf einem steinernen Altar« übersetzen kann. Sollten die steinernen Ruinen von Nan Madol als großer »Altar« angesehen worden sein? Wenn ja: Welche Götter wurden angebetet? Wie wurden sie verehrt?

Foto 4: .. oder Gott?
Anno 1828, so steht es in den Geschichtsbüchern, entdeckte der russische Kapitän Fedor Lütke die geheimnisvolle Inselwelt. Viele heutige Einheimische hören das gar nicht gern. »Was heißt hier, unsere Heimat wurde 1828 von einem Russen entdeckt? Das ist doch Unsinn! Entdeckt wurde unsere Heimat von unseren Vorvätern vor Jahrtausenden!« Woher kamen die ersten Besiedler der mysteriösen Stadt? Waren es die Überlebenden einer gewaltigen Katastrophe?

Vom »Intermational Airport« ging’s mit einem Taxi vom Miniinselchen Dekehtik über einen künstlich angelegten Damm in die Metropole Kolonia. Ich kam mit dem Taxifahrer ins Gespräch, erkundigte mich nach einer Apotheke. Der Mann winkte ab. Er riet mir ein steinernes »Idol« aufzusuchen. Dort werde mir womöglich geholfen. Tatsächlich erstattete ich besagtem Idol, dessen Name nicht in Erfahrung zu bringen war, einen Besuch ab.

Steinerne Idole haben mich ja schon immer fasziniert… und das von Pohnpei erwies sich als interessant, ja mysteriös. Einerseits wirkt es roboterhaft auf mich, andererseits hat es Augen wie ein Rieseninsekt. Stoisch ruhig steht es auf einer »Verkehrsinsel«, den breiten (froschartigen?) Mund leicht geöffnet.

Seltsam muten die Arme an. Sie liegen seitwärts am Körper an, ähnlich wie bei den Kolossen der Osterinsel. Besonders die Schulterpartie und der Ellenbogen-Bereich wirken künstlich, roboterhaft und nicht wie von einem Menschen.

Foto 5: Der Wasserfall
Besuchens- und betrachtenswert ist zweifelsohne der »Kepirohi-Wasserfall«. Die Wassermassen stürzen in ein natürliches Becken. Bevor man ein erquickendes Bad in den Fluten nimmt, sollte man sich allerdings sachkundig machen. Der Fluss, der den Wasserfall speist, führt an einer Schweinefarm vorbei, deren Abwässer im Fluss landen. Sollte diese Abfallbeseitigung auch heute noch praktiziert werden (2), wäre es besser, kein Bad zu nehmen…..

Ich muss zugeben: Die »dicken Steine« der uralten Ruinenstadt von Nan Madol haben mich sowieso mehr gereizt als das Naturschauspiel Wasserfall. Keine Zeit hatte ich für die Besichtigung der Ruine der Kathedrale von Kolonia. Am besten erhalten ist noch der Glockenturm. Eine lange Lebenszeit war dem Gotteshaus nicht gegönnt. 1909 von deutschen Kapuzinern errichtet, wurde es im Zweiten Weltkrieg bombardiert. Wer sich für Militaria interessiert, kann noch Spuren vom Zweiten Weltkrieg finden, zum Beispiel japanische Panzer.

Das eigentliche »Wunder« der Südsee findet sich auf Pohnpei. Es stellt meiner Meinung nach das Mysterium der Osterinselkolosse weit in den Schatten!

Foto 6: Luftaufnahme von Nan Madol


Fußnoten
1) Vermutlich handelte es sich um eine »Boeing 727«
2) Aktuelle Informationen liegen mir leider nicht vor!

Foto 7: Pohnpei im Pazifik
Zu den Fotos:
Foto 1: Das Idol/ Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Das Idol/ Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Roboter.../ Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: ... oder Gott?/ Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Der Wasserfall/ Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Luftaufnahme von Nan Madol/ Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Pohnpei im Pazifik/  Pohnpei-Insel. Wikimedia commons Aotearoa from Poland

315 »Die  Hölle unter unseren Füßen«
Teil 315 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 31.01.2016
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Sonntag, 17. Januar 2016

313 »Dicke Steine«

Teil 313 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Jürgen Huthmann im Gespräch mit Dieter Bremer


In Memoriam
Jürgen Huthmann
6. Oktober 1937 – 11. Januar 2016


Foto 2:  Mauerwerk....Foto Carola Gronemann-Habenicht

Am 17. Januar 2010 – also auf den Tag genau vor sechs Jahren – erschien Teil 1 meiner Serie »Monstermauern, Mumien und Mysterien«: »Kuelap, eine geheimnisvolle Metropole der Chachapoyas«. Sechs Jahre läuft nun »Monstermauern, Mumien und Mysterien«, Sonntag für Sonntag. 312 Folgen sind erschienen.

Wie viele Fotos mögen im Rahmen der Serie publik gemacht worden sein? Ich schätze vorsichtig:1500 Fotos. Und wie umfangreich mag das Manuskript sein, das da Sonntag für Sonnag bei »Ein Buch lesen« eingesehen werden konnte? Vorsichtig geschätzt: 1500 Seiten!

Sechs Jahre »Monstermauern, Mumien und Mysterien«… Ich schreibe gerade an Folge 313. Ursprünglich sollte es nur zehn Folgen geben, dann peilte ich 100 an. Ich denke an den Sommer 2010 zurück… Heftige Leibschmerzen peinigten mich, wurden immer schlimmer. In der Nacht wurde es unerträglich. »Du musst ins Krankenhaus…«, meine meine besorgte Frau. Da fiel mir ein, dass ich die Serienfolge für den kommenden Sonntag noch nicht fertig geschrieben hatte. Also ging ich, wankte ich in mein Büro, ließ den Rechner hochfahren. Die Schmerzen wurden schlimmer.

Foto 3: »Inkamauer auf der Osterinsel«
Meine Frau wählte »112«, schilderte meine Qualen. Ich schrieb weiter. Als schließlich zwei Sanitäter an der Haustür klingelten, war ich mit dem Text gerade fertig. Ich mailte Text und Fotos an meine Kollegin Ursula Prem. »Wer ist hier der Patient?«, fragte einer der Sanitäter. »Das bin ich…«, rief ich, immer noch am Rechner sitzend. Die beiden Sanitäter waren, gelinde gesagt, fassungslos. »Wenn Sie am PC arbeiten können, kann es ja so schlimm nicht sein!«, meinte einer. Ich gab kleinlaut zu: »Ich glaube, der Schmerz lässt nach… Vielleicht hat ja die Ablenkung geholfen, musste mich ja auf das Schreiben konzentrieren…«

Schließlich einigten wir uns darauf, dass ich darauf verzichte, ins Krankenhaus geschafft zu werden. Ich fürchte, die beiden Sanitäter konnten mein Verhalten nicht verstehen. Sie dachten wohl an »blinden Alarm«. Dabei wollte ich nur – dem schlimmen Schmerz zum Trotz – nur eine Unterbrechung meiner Serie vermeiden.

Es kam auch nicht zu einer Unterbrechung. Am 29. August 2010 erschien dann Folge 33 meiner Sonntagsserie, betitelt »In der unvollendeten Grabkammer – Teil I«. Ich aber landete dann doch noch in der Nacht im »St. Ansgar Krankenhaus« zu Höxter… Gallenkolik, Gallensteine… Operation. Ich muss zugeben: Gallensteine hatte ich schon seit Jahren, sie meldeten sich immer wieder mit wachsender Schmerzhaftigkeit. Jetzt wurde ich operiert, wurde Gallenblase nebst dicken Steinen los. Die Serie, damals noch in den sprichwörtlichen »Kinderschuhen«, lief weiter, ohne Unterbrechung! Vor dem »St. Ansgar Krankenhaus«, Höxter, steht ein Kunstwerk, geschaffen von Wladimir Zlatkov: ein Engel (Fotos 3 und 13).

Foto 4: Engel vor dem Krankenhaus
Sechs Jahre »Monstermauern, Mumien und Mysterien« sind auch so etwas wie ein Spiegelbild meiner Reisen, die ich unternommen habe, um für meine Bücher vor Ort zu recherchieren. Wenn ich zurückdenke, so drängt sich mir eine Beobachtung auf, die ich im Lauf der vielen Jahre immer gemacht habe. Weltweit, so scheint es, hatten unsere Vorfahren weltweit ein ganz spezielles »Hobby«. Ob auf der Osterinsel…. ob in Ägypten: die Menschen waren offensichtlich weltweit von im wahrsten Sinne des Wortes »dicken Steinen« fasziniert.

Kürzlich schickte mir Frau Carola Gronemann-Habenicht eine Reihe von Fotos zu. Die gewaltigen Steine kamen mir sehr vertraut vor. Wo hatte ich sie gesehen? Etwa in Peru, wo in alten Städten immer noch Mauern aus der Inka- oder Vorinkazeit stehen? Einer der abgelichteten Steinmonster ließ mich an Cuzco, Peru, denken. Frau Gronemann-Habenicht hat da eine steinerne Mauer im Bild festgehalten. Jeder der Steine ist sauber zugeschnitten und bestens poliert. Im Zentrum befindet sich ein echter dicker Brocken, mehreckig, gewiss, tonnenschwer. Die ihn umgebenden Steine sind ebenfalls sauber zugeschnitten, teils größere, teils kleinere… Und alle diese Steine sind millimetergenau aufeinander abgestimmt, so dass sie exakt und fast fugenlos ineinander gefügt werden konnten.

Die von Carola Gronemann-Habenicht aufgenommene Steinmauer erinnert mich aber auch an ähnlich präzise Steinmetzarbeit, wie ich sie auf der Osterinsel gesehen habe!

Foto 5 »Ahu Tahiri«, Osterinsel
Ich glaube, es war bei meinem ersten Aufenthalt auf der Osterinsel. Von meiner kleinen Familienpension hatte mich der wohlbeleibte Fahrer in seinem gerbechlichen Vehikel zur gewaltigen Start- und Landebahn gebracht. Hier kommen die Passagierflugzeuge vom Himmel, hier starten sie wieder, hier kann sogar der Spaceshuttle eine sichere, ausreichend lange Bahn – 3333 Meter – finden. Ich bestaunte die moderne Piste… und weiter ging es, an Brennstofftanks vorbei, zum »Ahu Tahiri«.

Auf der Plattform »Ahu Tahiri« wurden einst sechs riesige Steinriesen aufgerichtet. Die Giganten kamen zu Fall. Vielleicht wurden sie in einer kriegerischen Auseinandersetzung umgestürzt, vielleicht war ein Erdbeben verantwortlich. Was aber weitestgehend noch steht, das ist eine wuchtige Steinmauer. 2,80 Meter ist sie hoch. Auch hier wurde mit äußerster Präzision gearbeitet, auch hier wurden Steinquader millimetergenau zugeschnitten und faktisch fugenlos auf- und ineinander gefügt. Mörtel kam nicht zum Einsatz.

Thor Heyerdahl sieht die frappante Ähnlichkeit zwischen »Inka-Mauerwerk« und der Mauer auf der Osterinsel als Beweis für eine Besiedlung der Osterinsel von Südamerika aus an. Schlüssig ist diese Behauptung Heyerdahls allerdings nicht. Genauso könnten ja Steinmetze der Osterinsel nach Peru ausgewandert sein, um auch dort Mauerwerk zu errichten.

Foto 6: Inka-Mauerwerk in Cuzco. Foto Willi Dünnenberger

Nun ähneln aber nicht nur die Inka-Mauern Perus dem Mauerwerk der Osterinsel (»Ahu Tahiri«). Es sieht vielmehr so aus, als wären ganz besonders »dicke Steine« das spezielle »Hobby« von sehr frühen Baumeistern in aller Welt gewesen! So fotografierte Frau Carola Gronemann-Habenicht ihre »dicken Steine« in Japan! Die Tempel von Nikko Toshogu finden sich in der Präfektur Tochigi, in der Stadt Nikko, und locken Shintoismus-Gläubige ebenso an wie Touristen aus aller Herren Länder. Shintoismus und Buddhismus ähneln einander sehr. In der göttlichen Hierarchie des Shintoismus weit oben steht die Sonnengöttin Amaterasu. Amaterasu gilt zugleich auch als die mythologische Ur-Ur-Ur-Ahnin des japanischen Kaisers. Der Shintoismus gilt als die Urreligion Japans.

Fotos 7-10
Der »Nikko Tosho-gu« ist jüngeren Datums, er soll 1617 erbaut worden sein.  Bewundert werden die »torii« (»Shinto-Tore«) und  die charakteristischen Dachkonstruktionen  der Tempel. In den Tempeln werden »heilige Gegestände« verwahrt, zum Beispiel Bronzespiegel, Juwelen und Schwerter. Als ganz besonders heilig angesehene »Objekte« (wie zum Beispiel Götterstatuen) werden oftmals  im Sanctissimum versteckt. Selbst die Priester dürfen sie nicht sehen.

Weit weniger beachtet werden allerdings die massiven Mauern, die zu den Tempelkomplexen gehören, deren Bauweise durchaus an die Osterinsel und Peru erinnert. Es kommt mir so vor, als sei das Mauerwerk sehr viel älter als die heute bewunderten Shinto-Tempel. Bekannt ist, dass die Shinto-Tempel – wie auch die »Gotteshäuser« im alten Indien – oft an Stelle älterer Kultbauten errichtet wurden. Auch christliche Kirchen hatten häufig sehr viel ältere »Vorgänger«. Und die wiederum wurden einst dort gebaut, wo zuvor heidnische Tempel standen.

Aus sehr viel älteren Zeiten sollen heilige Gegenstände stammen, die in den Tempelschreinen verwahrt werden. Von manchen sollen nicht einmal Eingeweihte wissen, wie sie aussehen und welche Funktion sie haben. Auch der eigentliche Ursprung der auch heute mit riesigem Aufwand zelebrierter Prozessionen im Frühjahr und im Herbst dürfte längst in Vergessenheit geraten sein. So eindrucksvoll wie zum Beispiel die Frühjahresprozession der Tausend Krieger auch ist, was wurde ursprünglich wirklich gefeiert? Das gilt natürlich auch für christliche Prozessionen, in denen mit katholischem Ernst Heiligen gehuldigt wird, bei denen es sich – was weitestgehend verdrängt wurde und wird – um »getaufte« heidnische Götter handelt.

Foto 11: Frühjahresprozession der Tausend Krieger

DANK

Frau Carola Gronemann-Habenicht hat mir für diesen »Jubiläumsbeitrag« meiner Blogserie vorzügliche Fotos von »dicken Steinen« aus Japan zur Verfügung gestellt. Dafür darf ich mich ganz besonders herzlich bedanken!

Foto 12: Millimeterpräzision... im japanischen Mauerwerk
Zu den Fotos:
Foto 1: Jürgen Huthmann im Gespräch mit Dieter Bremer: Foto Ingeborg Diekmann, aufgenommen am 29.2.2008 im »Cordoba«, Bremen-Vegesack
Fotos 2, 7 bis 10 und Foto 12: Carola Gronemann-Habenicht. Copyright Carola Gronemann Habenicht
Die Fotos zeigen massives Mauerwerk japanischer Tempelanlagen.
Fotos 3 bis 5: Walter-Jörg Langbein.
Foto 13: Der Engel vor dem Krankenhaus
Copyright Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Inkamauerwerk auf der Osterinsel.
Foto 4: Engel vor dem Krankenhaus, Höxter.
Foto 5: »Ahu Tahiri«, Osterinsel
Foto 6: Inka-Mauerwerk in Cuzco. Foto Willi Dünnenberger
Fotos 7-10: Japanische Monstersteine. Fotos/ Copyright Carola Gronemann-Habenicht
Foto 11: wikimedia commons public domain Fg2 NikkoSennin
Foto 12: Japanische Monsterseine. Foto/ Copyright Carola Gronemann-Habenicht
Foto 13: Der Engel vor dem Krankenhaus, Kunstwerk von Wladimir Zlatkov. Foto Walter-Jörg Langbein

314 »Landung auf Dekehtik«,
Teil 314 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 24.01.2016

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Sonntag, 10. Januar 2016

312 »Woher, wohin?«

Teil 312 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: So soll es einst auf der Osterinsel ausgesehen haben

Joe Luis Rosaco und Juan Pablo Lira beschreiben die Osterinsel als »endloses Rätsel«, als »endless enigma« (1). Und in der Tat: Je intensiver ich recherchiere, desto mehr neue Fragen ergeben sich!

Nach den ältesten Mythen der Osterinsel gab es einst in grauer Vorzeit weit im Westen Südamerikas ein paradiesisches Eiland, »Maori Nui Nui«, zu Deutsch »Groß Maori«. König Taenen Arei regierte das Reich. Groß waren seine Sorgen. Stand doch die Existenz seines gesamten Volkes auf dem Spiel! »Maori Nui Nui« würde in den Fluten des Pazifiks versinken. Hatte sein Volk überhaupt eine Chance zu überleben?
     
Schließlich übernahm Taenen Areis Sohn, Hotu Matua, die Regierungsgewalt als König. Voller Tatendrang rüstete er Expeditionen aus. Seine tüchtigsten Seefahrer sollten eine neue Heimat für das vom Untergang bedrohte Volk finden. Doch die Kundschafter kamen immer wieder zurück, ohne in den Weiten des Meeres neues Land gefunden zu haben.
    
Foto 2: In den Weiten des Pazifiks...

Im letzten Augenblick gab es himmlische Hilfe. Gott Make Make stieg vom Himmel herab, ergriff den Priester Hau Maka und verschleppte ihn  durch die Lüfte zu einem fernen, unbekannten Eiland. Make Make erklärte dem verblüfften Priester genau, wie man von seiner alten Heimat, dem vom Untergang bedrohten Atlantis der Südsee, zur neuen Insel gelangen konnte. Make Make warnte eindringlich vor gefährlichen Felsenriffen und wies auf Vulkane hin. Er zeigte dem Geistlichen eine Kuriosität: »weiches Gestein«. Es dürfte sich um noch nicht ganz erstarrte Lava gehandelt haben.

    
Schließlich wurde Hau Maka in die alte Heimat zurück gebracht. Sofort berichtete er seinem König von seinem Traum. Ein Traum musste der Flug mit dem Gott Make Make ja gewesen sein. Der König wählte sieben Seefahrer aus, die sofort zu einer Erkundungsfahrt aufbrachen. Tatsächlich fanden sie die neue Insel... nach dreißig Tagen strapaziöser Fahrt übers Meer. Nach weiteren vierzig Tagen waren die sieben Seefahrer wieder zu Hause. Der König befahl den Exodus. Die gesamte Bevölkerung von »Maori Nui Nui« siedelte um: vom Atlantis der Südsee auf die Osterinsel. Die neue Heimat wurde planmäßig erkundet und in Besitz genommen.

Foto 3: .... verloren in einem endlosen Meer....

Aber waren die Flüchtlinge von »Maori Nui Nui« wirklich die ersten Menschen auf der Osterinsel? Nach Osterinselexperte Fritz Felbermayer war das Eiland damals menschenleer (2).

Nach Admiral T. de Lapelin (3) gab es auf den Gambier-Inseln, Tuamotu-Archipel, 1800 Kilometer südöstlich von Tahiti gelegen, eine interessante Überlieferung. Auf der Insel Mangareva kam es zu einer Rebellion. Ein »Chief« – der Name wird nicht überliefert – wurde besiegt und floh. Er entkam auf zwei großen Kanus mit Männern, Frauen und Kindern. Proviant hatten sie reichlich dabei. Einer der Flüchtlinge soll später wieder nach Mangareva heimgekehrt sein. Er berichtete, dass die beiden Kanus eine Insel gefunden hätten. Der Beschreibung nach handelte es sich um die Osterinsel.

Das Eiland sei bewohnt gewesen, heißt es weiter. Die Einheimischen überfielen die Neuankömmlinge, wurden aber besiegt. Bis auf Frauen und Kinder sollen alle Insulaner erschlagen worden sein. Auf der Osterinsel versicherte man mir, das könne nur vor der Besiedelung ihrer Insel durch Hotu Matua geschehen sein.

Eine Lehrerin berichtete mir in Hanga Roa, der einzigen Siedlung auf dem Eiland, dass ihre Vorfahren beim ersten Besuch auf der Osterinsel Spuren einer früheren Besiedlung entdeckt hätten.

Foto 4: ... liegt die Osterinsel

Da habe es deutliche Überreste einer einst sehr schön angelegten Straße gegeben. Und in den »Höhenlagen« der Vulkane habe man steinerne Befestigungsanlagen früherer Bewohner gefunden. (4) Diese Befestigungsanlagen sollen sich auf einem der beiden Hügel befunden haben, die am Strand der Anakena-Buch liegen. Meines Wissens ist davon heute nichts – mehr? – zu sehen. Einer der beiden Hügel soll – von wem auch immer – oben künstlich abgeflacht worden sein. Wurden auf diesem Hügel einst Posten aufgestellt, die aufs Meerhinaus starren mussten, um frühzeitig Neuankömmlinge zu entdecken?

Viele Fragen in Sachen Osterinsel beginnen mit dem Wort »woher«. Woher kamen die ersten Bewohner der Osterinsel? Vermutlich gab es mehrere Wellen von Einwanderungen. Unbestreitbar ist der starke Anteil an polynesischen Vorfahren der Osterinsulaner. Woher stammt der osterinsulanische »Vogelmensch-Kult«? Wir verstehen diesen Kult bis heute nicht wirklich. Steingravuren auf der Osterinsel zeigen den Vogelmenschen als eine Art Mischwesen aus Mensch und Vogel.

Auf zahlreichen Steingravuren, die meist im Lauf der Jahrhunderte schon sehr stark verwittert sind, scheint sich der Vogelmensch kopfüber mit vorgestreckten Armen nach unten zu stürzen. Von wo nach wo springt er da? Vom Himmel zur Erde?

Foto 5: Vogelmenschkult Osterinsel
Auf den Solomon-Inseln gab es offenbar auch einen Vogelmensch-Kult. Offenbar wurde da der Fregattvogel mit menschlichen Merkmalen versehen. Die Vogel-Menschen der Osterinsel ähneln nun sehr jenen von den Solomon-Inseln.

Vermutlich kamen die Fregatt-Vogel-Mensch-Mischungen von den Solomon-Inseln zur Osterinsel.

Dort wandte man sich nach und nach einer Seeschwalbenart zu, da es auf der Osterinsel an Fregattvögeln mangelte. Unverkennbar ist der für Fregatt-Vögel typische »Hakenschnabel« auf der Osterinsel. Fregattvögel aber waren und sind auf der Osterinsel unbekannt.

Woher kam der Vogelmensch-Kult? Und was hat er wirklich zu bedeuten? Geht es um Fruchtbarkeitsriten, um Zeremonien zum Erhalt des Lebens? Im Kult der Osterinsel galt es, das erste Ei einer Rußseeschwalbe von einer der Osterinsel vorgelagerten Miniaturinsel heil zur Osterinsel zu bringen. Wurde auf diese Weise die Rückkehr des Lebens auf das Eiland zelebriert, ja beschworen?

Viele »Woher-Fragen« stellen sich zur alten Osterinselkultur. Wichtiger aber scheint mir die Frage nach dem Wohin zu sein! Wohin wird sich die heutige Osterinsel-Kultur entwickeln? Schon seit vielen Jahrzehnten versucht man sich von der Vorherrschaft durch Chile zu befreien. Fast klammheimlich kehrt der alte Kult um den »Vogelmenschen« wieder. Darstellungen von Vogelmenschen finden sich heute wieder in der christlichen Kirche der Osterinsel, auf Heiligenfiguren geschnitzt, aber auch auf Rückseiten von Grabsteinen.

Fotos 6 und 7: Mysteriöser Kult
Im Verlauf der rund dreißig Jahre, die ich die Osterinsel immer wieder aufsuchte, erkannte ich ein Erstarken der Bewegung »Zurück zu den Wurzeln«-Bewegung. Leider wurden unzählige der Schrifttäfelchen der Osterinsulaner von übereifrigen Missionaren gesucht und vernichtet. Leider wurde die Muttersprache »Rapanui« der Osterinsel viele Jahrzehnte verboten. Erst seit 1975 darf »Rapanui« wieder in der Schule gelehrt und gelernt werden. 1984 schließlich wurde »Rapanui« sogar zum Pflichtfach. Und die örtliche Folklore, lange Zeit von Missionaren als »Teufelswerk« verdammt, wird seither wieder an der Schule unterrichtet.

Für Sebastian Englert, 1964 mit dem »Bundesverdienstkreuz 1. Klasse« geehrt, hatte ausschließlich die Missionierung der Osterinsulaner Bedeutung. Das unsägliche Leid, das den Menschen durch Vertreter der »zivilisierten Welt« zugefügt wurde, scheint ihn überhaupt nicht interessiert zu haben. Er sah seine Aufgabe wohl ausschließlich darin, die »Heiden« zu Christen zu machen. Dass die Rapa Nui ohne Rechte als Fremde in der Heimat lebten, unfrei hinter Stacheldraht hausend, das war für den eifrigen Missionar ohne Belang, ohne Bedeutung.

Foto 8: Heutige Osterinselkunst
Wohin geht der Weg der Osterinsulaner? Zu Beginn des dritten Jahrtausends nach Christus wächst der Wunsch der Menschen der Isla la Pascua, wieder eine eigene Kultur zu entwickeln, die eigenen Wurzeln wieder zu entdecken. Heutige Rapanui-Künstler schaffen wieder Werke mit den uralten Motiven ihrer Heimatinsel. Im Zentrum steht der Vogelmensch aus dem alten Kult. Auch Make-Make-Motive fließen in die moderne Kunst wieder ein. Rapanui lebt!

Der Weg zur Eigenständigkeit ist noch ein weiter. Wird die Unabhängigkeit je verwirklicht werden können?

Fußnoten

1) Rosasco, Jose Luis und Lira, Juan Pablo: »Easter Island/ The Endless Enigma«, Santiago 1991
2) Felbermayer, Fritz: »Sagen und Überlieferungen der Osterinsel«, Nürnberg 1971. »Die sieben Seefahrer«, S. 16-18
 3) »Revue Maritime et Coloniale«, Band XXXV, S. 108, 1872 erschienen (nähere Quellenangaben liegen mir leider nicht mehr vor!)
4) Leider ließen sich diese vagen Angaben nicht weiter verifizieren.

Empfehlenswerte Literatur zum Themenkomplex »Osterinsel«
(eine Auswahl!):


Foto 9: Moderne Kunst...
Bacon, Edward (Herausgeber): »Versunkene Kulturen/ Geheimnis und Rätsel früher Welten«, Volksausgabe, München 1970
Bahn, Paul und Flenley, John: »Easter Island, Earth Island/ A message from our past for the future of our planet«, London 1992
Barthel, Thomas S. et al.: »1500 Jahre Kultur der Osterinsel/ Schätze aus dem Land des Hotu Matua/ Ausstellungskatalog«, Mainz 1989
Berg, Eberhard: »Zwischen den Welten/ Anthropologie der Aufklärung und das Werk Georg Forsters«, Berlin 1982 (Die Osterinsel: »Verschiedene Grade von Cultur« S. 99-101)
Blumrich, Josef F.: »Kasskara und die sieben Welten«, Wien 1979
Brown, John Macmillan: »The Riddle of the Pacific«, Honolulu, Hawaii, Nachdruck 1996
Diamond, Jared: »Kollaps/ Warum Gesellschaften überleben oder untergehen«, erweiterte Neuausgabe, Frankfurt 2011 (Teil 2/ Kapitel 2: »Schatten über der Osterinsel, S. 103-154)
Felbermayer, Fritz: »Sagen und Überlieferungen der Osterinsel«, Nürnberg 1971
Francé-Harrar, Annie: »Südsee/ Korallen – Urwald – Menschenfresser«, Berlin 1928. (»Osterinsel« S. 143-152)
Gray, Randal: »Lost Worlds«, London 1981. (»Osterinsel« S. 44-55)
Heyerdahl, Thor: »Aku-Aku/ Das Geheimnis der Osterinsel«, Berlin 1972
Lee, Georgia: »The Rock Art of Easter Island/ Symbols of Power, Prayers to the Gods«, Los Angeles 1992
Machowski, Jacek: »Insel der Geheimnisse/ Die Entdeckung und Erforschung der Osterinsel«, Leipzig 1968
Fotos 10 und 11: Alte Kunst....
Mann, Peggy: »Land of  Mysteries«, New York 1976
Métraux, Alfred: »Ethnology of Easter Island«, Honolulu, Hawaii, 1971
Orliac, Catherine und Michel: »Mysteries of  Easterisland«, London 1995
Petersen, Richard: »The Lost Cities of Cibola«, Phoenix 1985 (»Island of Mystery«, chapter 10, pages 219 fff.)
Richter-Ushanas, Egbert: »Die Schrifttafeln der Osterinsel in der Lesung Metoros und Ure Vaeikos«, Bremen 2000
Rosasco, Jose Luis und Lira, Juan Pablo: »Easter Island/ The Endless Enigma«, Santiago 1991
Routledge, Katherine: »The Mystery of  Easter Island«, 1919, Nachdruck, Kempton 1998
Krendeljow/ Kondratow: »Die Geheimnisse der Osterinsel«, 2. Auflage, Moskau und Leipzig 1990
Winkel, Karl zum: »Köpfe, Schlangen, Pyramiden in Lateinamerika/ Alte Kulturen von Mexiko bis zur Osterinsel«, Heidelberg 2001



Fotos 12 (oben) und 13 (unten)



Zu den Fotos:
Foto 1: »So soll es einst auf der Osterinsel ausgesehen haben«, wikimedia commons Rod6807
Fotos 2 bis 11: Walter-Jörg Langbein
Zeichnungen zur Verdeutlichung: Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Walter-Jörg Langbein
Foto 13: Zeichnerische Rekonstruktion. Archiv Walter-Jörg Langbein
(Siehe auch Fotos 6 und 7)




313 »Dicke Steine«
Teil 313 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 17.01.2016


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Sonntag, 3. Januar 2016

311 »Das Ghetto«


Foto 1
Teil 311 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein

  
Foto 2
»Rapa Nui«, die Osterinsel, erscheint heute jedem Besucher als ein Idyll, fern der Hektik des nervenauftreibenden Alltags unserer »Zivilisation«. Nirgendwo auf der Welt habe ich mich so wohl gefühlt wie auf Isla la Pascua. Nirgendwo sonst auf der Welt ist der nächtliche Sternenhimmel so klar wie über dem kleinen Vulkaninselchen Rapa Nui. Nirgendwo sonst ist die Stille so greifbar wie im Reich der Riesenstatuen. Und wie an so vielen Orten unserer Welt spürt man nicht das Leid, das den Menschen zugefügt wurde. Man erahnt nicht die schmerzhaften Qualen, die hier viel zu lange erduldet wurden.

Was ich aber lange verdrängt habe: Eine Chronik der neueren Geschichte der Osterinsel ist von Gewalt geprägt. Die Brutalität ging nie von den sogenannten »Wilden«, sondern stets von der sogenannten »zivilisierten Welt« aus. Immer wieder erweisen sich Europäer und Amerikaner als die wahren Barbaren.

Foto 3: Tyrann Dutroux-Bornier
1868. Jean Baptiste Dutroux-Bornier (1), französischer Ex-Artillerie-Offizier, in Peru zum Tode verurteilt, »kauft« nach und nach den Ureinwohnern ihre Landrechte ab. 1869 heiratet Dutroux-Bornier (1834-1876) Koreto, eine Rapa-Nui-Frau, und ernennt sich selbst zum König der Osterinsel. Zunächst hat er durchaus Sympathien in der Bevölkerung, vor allem weil er verspricht, dass auf der Osterinsel wieder der alte „Rapa Nui«-Glaube ausgeübt werden darf. Dutroux-Bornier herrscht brutal als Despot. 

247 »Rapa Nui« werden mit Gewalt nach Tahiti »umgesiedelt«, wo sie auf Plantagen schuften müssen. Immer wieder fliehen Osterinsulaner von ihrer Heimatinsel: aus Angst vor dem Terror der Sklavenjäger.

Die beiden Missionare Theodore Escolan und Hippolyte Roussel stellen sich auf die Seite der Einheimischen. Das Leid der Menschen wächst. Schließlich beschließen die beiden Missionare, die Osterinsel per Schiff zu verlassen. Ziel: die Gambier-Islands. Dutroux-Bornier verhindert, den Exodus. Er bedrängt den Kapitän, 175 der Flüchtlinge wieder zurück auf die Insel zu schicken.

Dutroux-Bornier macht die kleine Stadt Hanga Roa zum Ghetto. Auf engstem Raum leben die Osterinsulaner hinter Stacheldrahtzaun. Sie dürfen das Ghetto nicht verlassen. Zuwiderhandelnde werden auf brutalste Weise bestraft. Unklar ist, wie viele Menschen ermordet werden. Eingesperrt im Ghetto, abgeschnitten von ihren Feldern, fristen die Menschen ein erbärmliches Dasein. Die Osterinsel ist zu einer riesigen Schaffarm geworden, die Einheimischen hausen im Ghetto.

Foto 4
Dutroux-Borniers Macht basiert auf Gewehren, einer Kanone und einer brutalen Bande von Handlangern, die ohne mit der Wimper zu zucken zuschlagen. Sie brennen die armseligen Hütten von aufbegehrenden Insulanern nieder. 1876 endet die Gewaltherrschaft des Jean Baptiste Dutroux-Bornier. Der Diktator kommt ums Leben. Ob er von einigen Einheimischen nach einem Streit erschlagen wurde, oder ob er einen Unfall mit tödlichem Ausgang hatte, ist nicht geklärt. (2)

Mit dem Tod des verhassten Tyrannen endet freilich nicht das Leid der Osterinsulaner. Das Ghetto wird fortgeführt…

Am 2. Januar 1888 erwirbt die chilenische Regierung die Schaffarm von einem Nachfolger des unseligen Dutroux-Bornier.  Am 9. September 1888 nimmt Policarpo Toro (1851-1921) die Osterinsel für Chile in Besitz. Der »feierliche Akt«  ist das Resultat von zähen Verhandlungen. Recht »überzeugend« war allerdings, was Policarpo Toro – chilenischer Marineoffizier –  in der Hinterhand hatte: das Kriegsschiff Angamos. Bis heute ist dieser Vertrag bei den Osterinsulanern sehr umstritten. Viele Osterinsulaner, wie Vertragsunterzeichner Häuptling Atamu Teneka, hofften damals, dass Chile sie nun vor Angriffen schützen würde.

Chile allerdings hatte nur strategische Interessen an dem einsamen Eiland. Die Insel soll ein weit vorgelagerter Außenposten Chiles in den Weiten des Pazifiks sein. Die dort lebenden Menschen interessieren niemanden. Der Versuch, Isla la Pascua zu kolonisieren, scheitert. 1895 schließlich verpachtet Chile die Osterinsel an Enrique Merlet… zur Nutzung als Schafsfarm. Enrique Merlet duldet keinen Widerspruch. Ariki Riroroko, der letzte König der Osterinsel, wird auf Befehl des brutalen Farmers ermordet. Langsam, sehr langsam, formiert sich im Untergrund Widerstand. 1914 schließlich leitet die »Priesterin« Maria Angata Pakomio einen Aufstand gegen die Schaffarmer.

Foto 5
Meine Gesprächspartnerin, die mich um Anonymität gebeten hat, bewundert die mutige Frau, die letztlich keine Chancen hatte. In mehreren Gesprächen mit Einheimischen konnte ich feststellen, dass die »Priesterin« heute wieder zusehends an Popularität gewinnt. »Sie war eine warmherzige Königin!«, meinen die einen. »Sie hatte es faustdick hinter den Ohren!« die anderen. 

Unklar bleibt, ob sich Maria Angata Pakomio wirklich als »Prophetin« sah. Oder kreierte sie so etwas wie einen religiösen Kult, um ihrem Volk einen Aufstand als sehr aussichtsreich erscheinen zu lassen?

Auch im Jahre 1914 war die Osterinsel kein selbständiges Land, sondern nur ein Fleck im schier endlosen Meer. Und dieses Fleckchen gehörte Chile. Chile wiederum hatte das Land verpachtet. Herrscher war Gouverneur und Verwalter Henry Parcival Edmonds.

Am 30. Juni, der Termin wurde mir in verschiedenen Gesprächen genannt, erscheint Maria Angata Pakomio, begleitet von zwei Männern, bei der »Inselobrigkeit« (3).  Sie erklärt, dass von nun an Enrique Merlet nichts mehr auf dem Eiland zu vermelden habe.

Die selbsternannte Prophetin erklärt in einfachen Worten die Osterinsel wieder zum Besitz der Osterinsulaner. Auch die Schafe und Rinder seien nicht mehr Besitz der weißen Fremden, sondern der »Kanaken«, wie damals mehr oder minder alle Südseebewohner von den zivilisierten Europäern genannt wurden. Gott selbst habe ihr diese neue Wahrheit kundgetan. Im Traum habe ihr Gott enthüllt: »Mr. Merlet ist nicht mehr! Die Insel gehört den Kanaken. Wir werden uns morgen Vieh holen und ein großes Fest feiern!« (4)

Foto 6: Die »Prophetin«

Die Prophezeiungen der Maria Angata Pakomio muten fantastisch an. Ob sie alle richtig überliefert wurden. Angeblich glaubten die Anhänger der »Prophetin«, die Apokalypse sei über die gesamte Welt hereingebrochen. Die Welt sei untergegangen, überdauert habe das Ende nur Rapa Nui. Nun könnten die Rapa Nui ohne Angst ihre Heimat wieder in Besitz nehmen. Gewiss, da gab es noch bewaffnete Fremde. Aber die Kugeln ihrer Gewehre seien wirkungslos. Sie würden die „Rapa Nui« nicht verletzen, geschweige denn töten.

Die Welt aber war nicht untergegangen. Und die Waffen der weißen Unterdrücker waren nach wie vor sehr wirkungsvoll. Sie töten nach wie vor. So werden die Anführer des Aufstands in Ketten gelegt. Die »Prophetin« Maria Angata Pakomio allerdings bleibt unangetastet. Man hat wohl Angst vor ihrer Autorität. In Chile befürchtet man wohl einen blutigen Aufstand, sollte man die Seherin festnehmen. Sie stirbt ein halbes Jahr nach der Rebellion der Osterinsulaner. Die Welt steht 1914 tatsächlich am Abgrund einer Apokalypse. Ein Weltkrieg tobt, wie es nie zuvor einen gegeben hat.

Foto 7

Die Welt endete nicht, anno 1914. Es wurde aber, symbolisch ausgedrückt, die letzte Tür zu einem der großen Geheimnisse der Osterinsel zugeschlagen. In jenem denkwürdigen Jahr begegnete die englische Forscherin Katherine Routledge nicht nur der Prophetin Maria Angata Pakomio, sondern auch dem letzten Eingeweihten der Osterinsel, der die Botschaft der »sprechenden Hölzer« vernahm.

Tomenika war der letzte Mensch, der die rätselhaften Schriftzeichen der alten Osterinselkultur zu lesen verstand. Der Greis vegetierte in einer Heilanstalt für Leprakranke dahin. Er weigerte sich aber standhaft, sein geheimes Wissen preiszugeben. Katherine Routledge notierte in ihrem Tagebuch (5): 

»Ich machte noch einen erfolglosen Versuch, verabschiedete mich und ging. Ein ungewöhnlich stiller Tag neigte sich dem Ende zu, alles an diesem abgeschiedenen Ort war vollkommen ruhig. Vorn erstreckte sich wie Glas das Meer und die Sonne neigte sich wie ein Feuerball dem Horizont zu. In der Nähe jedoch lag der langsam sterbende Greis, dessen müdes Hirn die letzten Reste einstmals hochgeschätzten Wissens bewahrte. Zwei Wochen später war er gestorben.«

Foto 8: Alfred Métraux
Erst 1964 gibt es wieder einen Versuch einer Revolution. Alfonso Rapu wird von den Rapa Nui zum Bürgermeister gewählt. Und endlich – nach Jahrzehnten – zeigen die immer wieder vorgebrachten Proteste gegen die menschenunwürdige Behandlung der Osterinsulaner Wirkung! Schon 1935 hat der große Osterinselexperte, der Belgier Alfred Métraux (1902-1963), die Weltöffentlichkeit auf den Skandal Osterinsel aufmerksam gemacht, freilich ohne erkennbaren Erfolg. 1963 erhebt Francis Mazière seine Stimme gegen das Elend der Menschen von Rapa Nui:

»Es herrscht auf der Insel ein derartiges Elend, dass man vom Übergangsstadium in unsere Zivilisation nicht sprechen kann. Die von den Chilenen vernachlässigte oder von den dorthin geschickten Elementen verhängnisvoll beeinflusste Insel ist nicht einfach dem Niedergang preisgegeben, sie ist schlechthin inmitten eines ausweglosen Elends verrottet.«

1966 wird – nach rund einem Jahrhundert – das unsägliche Ghetto der Osterinsel aufgelöst. Die Rapa Nui dürfen sich wieder frei auf der eigenen Insel bewegen. Und heute? Heute ist das »Paradies Osterinsel« vollkommen abhängig von Chile. Eine Selbständigkeit scheint sich nicht mehr verwirklichen zu lassen.

Foto 9


Fußnoten
1) Die Schreibweise des Namens Dutroux-Bornier variiert, gebräuchlich ist auch Dutrou-Bornier
2) Siehe… Routledge, Katherine: »The Mystery of Easter Island«, 1919 erschienen, Nachdruck Kempton, Illinois, USA, 1998, S. 208
3) Gemeint ist der »Manager« der Schafsfarm, wobei die »Schafsfarm« fast identisch ist mit der Insel
4)Siehe hierzu… Routledge, Katherine: »The Mystery of Easter Island«, 1919 erschienen, Nachdruck Kempton, Illinois, USA, 1998, S. 142
5) ebenda, S. 253


Zu den Fotos

Foto 1: privat/ Archiv Langbein 
Foto 2: Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Tyrann Dutroux-Bornier, etwa 1876 wikimedia commons public domain
Fotos 4 und 5: Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Die »Prophetin« Maria Angata Pakomio, wiki commons/ unbekannter Fotograf, 1914 
(Identität der hockenden Person nicht  absolut gesichert! Vermutlich: Maria Angata Pakomio)
Foto 7: Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Alfred Metraux, 1932, wikimedia commons/ Charles Mallison
Foto 9: Walter-Jörg Langbein

312 »Woher, wohin?«
Teil 312 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 10.01.2016
 

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